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Pilze Pilze Forum Archiv 1999

Nomenklatur, nur die Spitze des Eisbergs...

Geschrieben von: Boris
Datum: 9. November 1999, 10:05 Uhr

Antwort auf: Re: Nomenklatur, naechste Runde! (Kerstin)

: Dazu kann ich garnichts sagen, weil mir die technik der Mykologischen Systematik nicht besonders vertraut ist. Ich weiß ja nichtmal ob es tatsächlich stimmt, daß zwischen Russula und Granoderma enge Beziehungen vermutet werden.

Zu der meiner Meinung nach größten Entgleisung im Nomenklatursystem, dem ständigen Umbennen gemäß der Erstbescheiberregel hast du in der Tat nichts gesagt. Ansonsten will ich nicht auf dieses spezielle Beispiel raus, sondern auf die momentane Tendenz den Stellenwert mikroskopischer Merkmale bei der Suche nach dem "natürlichen System" überzubewerten: die sind nämlich auch nicht unbedingt so stabil, wie man immer sagt. Und wenn dann noch irgendwelche Erzmykologen anfangen mit dem Elektronenmikroskop zu hantieren kann ich mir nur noch an den Kopf langen.

Beispiel: Harry hat mir letztens gesagt, dass die beiden Kegeligen Saftlinge (H. conica + H. nigrescens) wieder zusammengelegt wurden, da das Mikromerkmal "Anzahl der Sporen" im Dauerbetrieb doch nicht stabil genug war. Da drängt sich wirklich die Dilbert-Karrikatur auf. Der Leidtragende solch unausgegegorener Umstrukturierungen ist immer der weniger professionelle Mykologe.

: Ich hab zwar Douglas Adams nicht gelesen (Kishon ist schon lange her), aber ich zweifle daran, dass dort "Verbesserungsvorschläge Andersdenkender" für die biologische Nomenklatur zu finden sind. Und du hast auch noch nichts konkretes dazu gesagt.

Auch wenns manchmal nicht den Eindruck macht, ich liebe konstruktive(!) Kritik. Hier sind ein paar Verbesserungsvorschläge meinerseits:

1) Die Erstbeschreiberregel sollte nicht angewandt werden, bei Namen die schon über fünf Jahre etabliert sind, da dann bereits so viel Literatur erschienen ist, das die Umbenennung nur ins Chaos führt.
2) Stehen mehrere Namen zur Auswahl haben "informative" Artnahmen (erythropus, rubescens, radicans etc.) immer den Vorzug gegenüber rein bezeichnenden Namen.
3) Bei ausserplanmäßigen Umbenennungen von Arten, die schon zehn Jahre oder länger beschrieben sind, z.B. der Frühjahrslorchel, sollte vor Umbenennungen die Öffentlichkeit befragt werden. Geht übers Internet wunderbar. (Die mangelnde Einbeziehung von Aussenstehenden halte ich für die größte Schwäche des bestehenden Nomenklatursystems.)

: Als arrogante (im Sinne von "dünkelhaft") Akademikerin würde ich im Übrigen nicht die Zeit mit mir völlig unbekannten Pilzlern vertreiben.

Genau das ist z.B. der Unterschied zwischen Leuten wie German Krieglsteiner, die andere Leute aktiv miteinbeziehen und auch Zwischenergebnisse publizieren (o.k., jetzt weiß ich dass der ja auch kein "echter" Akademiker ist) und gewissen Leuten die ich in KL kennengelernt habe, die sich mit niemandes beraten und auch ihre Forschungsergebnisse nur spärlich an die Aussenwelt dringen lassen. Ich will wirklich keinen ganzen Stand pauschal verdammen, aber menschliche Größe ist im Bereich der Profs. und Drs. doch recht selten (in ALLEN Fachrichtungen).

: Ein bißchen frage ich mich, was Dich so gekränkt hat, dass Du so emotional auf ein so dröges Thema wie die Nomenklatur reagierst. Jedenfalls hoffe ich, dass wir das Thema langsam fallenlassen können.

Wahrscheinlich die Summe von vielen, ich habe lange Jahre das ganze bürokratische System kennengelernt. Das fing mit Kleinigkeiten an wie korrekter Referenzierung in der Diplomarbeit (Klammer, Jahreszahlen, so und nicht anders) und erstreckte sich bis hin zu unverhohlener Arroganz gegen Leute, die nicht aus dem selben Fachgebiet stammen.

Ein Beispiel, ich wollte mich mal als Redner für eine Vorlesungsreihe zum Thema Gentechnik zur Verfügung stellen nachdem der kritische Redner aus einem der Ökoinstitute überraschend erkrankte, und wurde vom Vorlesungsleiter (ein Prof. Biol.) ausgelacht. Schliesslich gelang es doch einen Redner aus dem Umweltinstitut München aufzutreiben - und der hielt die Vorlesung sinngemäß HAARGENAU so wie ich es tun wollte. Nicht Wissen zählt, sondern der Titel. Kishon hat doch recht.

Es mag für manche interessant sein, dass es auch hier ein paar unkonventionelle Ketzer gibt, die echtes Wissen höher als Form und Titel bewerten. Prof. agr. Sigmar Gröneveld z.B. , einer der unbequemsten Kritiker der Gentechnik im Agrarbereich, akzeptiert auch handschriftlich angefertigte Diplomarbeiten, wenn sie seinen strengen inhaltlichen Anforderungen genügen.

: Gute Grüße
: Kerstin

Schöne Grüße, Boris.


Beiträge in diesem Thread

Umfrage der Woche -- Georg Müller -- 4. November 1999, 21:09 Uhr
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Re: Nomenklatur, nur die Spitze des Eisbergs... -- MUFTI -- 9. November 1999, 12:45 Uhr
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Re: Umfrage der Woche -- Boris -- 5. November 1999, 00:04 Uhr
Re: Umfrage der Woche -- Birgit -- 5. November 1999, 13:15 Uhr
Re: Umfrage der Woche -- MHeidenreich -- 4. November 1999, 23:21 Uhr

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