: An Christoph noch eine Frage (gegenüber dir bin ich ja mit meinen 2 Jahren
: Bio-Grundkurs trotz 13 Punkten höchstens totaler Amateur, außerdem wird
: Ökologie im Unterricht aus Zeitmangel sowieso stark gekürzt): Wenn es
: stimmt das "Urwälder" in Deutschland artenärmsten Lebensräumen
: gehören, wie sieht es dann im doch als sehr artenreich geltenden
: Nationalpark und Urwald Bialowieza in Ostpolen aus? Liegt der
: Artenreichtum dort an einem anderen Waldtyp, dem Wild (Wisent,
: Wildschwein, Reh) das Lichtungen schafft und einige junge Bäume kurz hält
: (dann müssten aber auch Deutaschlands Wälder artenreicher sein), gibt es
: andere Gründe (z. B. das stets unverändert gebliebene Ökosystem) oder irre
: ich mich vielleicht sogar und dieser Wald ist eher artenarm?
: Gruß Marcus B.
Hallo Markus,
leider war ich noch nicht im Bialowiyesh-Urwald. Hätte mal fast geklappt, aber eben nur fast. Das Gebiet ist ein Glücksfall, da es unzugänglich war und als jahrhundertelanges politischen Spannungsfeld zwischen Polen und Russland quasi unbesiedelt blieb. Allerdings soll später die Wilddichte durch den Menschen deutlich erhöht worden sein (für die Jagd), so daß es wohl auch kein "ganz echter" Urwald ist (hat mir ein Pflanzensoziologe während einer Diskussion in den Böhmischen Urwaldreservaten gesagt). Für die Böhmischen "urwälder" gilt das aber besonders, die waren großteils Jagdreviere und wurden deshalb nicht gerodet.
Aber das wichtigste: Bialowiyesh liegt jenseits der Kontinentalitätsgrenze der Buche. Die gibt's da gar nicht mehr, damit ist es ohnehin nicht mit Deutschland vergleichbar! Es ist ein großer Hainbuchen-Fichten-Wald (Carpinetum pinetosum) mit setllenweiser Eichendominanz auf nassen Böden. Es gibt zwar noch subatlantische Elemente (Quercus petraea - an der Ostgrenze ihres Areals(!), nur auf armen trockenen Standorten, Abies alba - selten -, Hedera helix, Taxus baccata inzwischen ausgestorben). Die Baumschicht ist aber dominiert von Carpinus betulus und Picea abies. Pinus silvestris und Populus tremula sind unbedeutend eingemischt(!). Quercus robur, wie gesagt nur an nassen Stellen dominat. Die Hainbuche ist der Charakterbaum des Bialowiyesh schlechthin. Die Fichte kam wohl erst sekundär dazu (soviel zum "Urwald").
Aber auch im Bialowiyesh ist die Artenvielfalt, was die Gefäßpflanzen angeht, gering. Bei Kronenschluß fehlt die Krautschicht fast ganz, bis auf Frühjahrsgeophyten (z. B. Buschwindröschen). Lichte Bereiche sind deutlich artenreicher. Es gibt aber auch viele Sonderstandorte, nasse Stellen , sehr arme Standorte etc., die sehr artenreich sind. Auch hier gilt, dass der Wald großteils artenarm ist (Gefäßpflanzen!), Sonderstandorte dafür sehr artenreich. Insgesamt ist also die Vielfalt im ganzen Nationalpark recht hoch.
Man kann ihn also wenig mit den Mitteleuropäischen Gesellschaften vergleichen. Aber auch hier gilt, dass durch das enorme Totholzangebot die Vielfalt an saprotrophen Organismen und allgemeinen Holzbesiedlern (Pilze und Flechten, Insekten, Bakterien etc. etc.) sehr hoch ist. Der Begriff "Artenreichtum" ist daher nur auf spezielle Organismengruppen anwendbar, da der selbe Standort für die einen Organismen artenarm, für die anderen artenreich ist.
Beispiel: Schilfröhricht. Gefäßpflanzen kannst Du an einer Hand abzählen, Pilzarten gibt's, aber nur wenige Spezialisten, dafür gibt's viele viele Tierarten(!). Deshalb ist auch Schilfröhricht wichtig.
Ich sage das nur, um eine Bewertung des Begriffes "artenreich"/"artenarm" als "gut"/"schlecht" zu vehindern.
Wenn Du was über die allgemeine Vegetationsökologie der einzelnen Klimazonen was nachlesen willst, so rate ich Dir den Walter & Breckle, Ökologie der Erde, UTB Gustav Fischer. Ist problemlos in Bibliotheken zu bekommen. Im Band 3, "Spezielle Ökologie der Gemäßigten und Arktischen Zonen Euro-Nordasiens" wirst Du auch über den Bialowiyesh fündig. Ich hab die zweite Auflage von 1994. Sind zwar viele Fachausdrücke drin, aber das Buch ist trotzdem gut lesbar. Wunderbar zum "schmökern".
Ich wünsch Dir viel Spaß mit der Biologie. Ich hatte Bio damals abgewählt (12te Klasse) und in der 13ten zwangsbelegen müssen mit katastrophalen Leistungen aus Desinteresse (glaube 8 Punkte oder so -> Faulheit). Ich bin über die Physik zur Biologie gekommen (etwas umständlich, aber das tiefe Interesse wurde erst später geweckt - durch die Pilze). Also fühl Dich mal nicht als "absoluter Amateur". Und glaub auch den sogenannten Experten nicht alles! Immer kritisch hinterfragen, so lernen beide Seiten was dazu.
Ich hoffe, die Infos zum Bialowiyesh sind interessant bzw. hilfreich.
Wenn jemand andersweitige Infos oder Thesen zum Bialowiyesh bzw. zur Waldökologie hat, bin ich auch sehr neugierig.
Ich wünsch Dir was, ciao, Dein Christoph :=)