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Pilze Pilze Forum Archiv 2002

Re: Röhrling - wer kennt ihn?

Geschrieben von: Boletus
Datum: 9. Oktober 2002, 11:19 Uhr

Antwort auf: Re: Röhrling - wer kennt ihn? (Markus S)

: In einer Ausgabe der SZP (Schweizerische Zeitschrift für Pilzkunde) hat
: Boletus (der "Echte", nicht Sepp aus dem Forum) mal einen
: satirischen Artikel dazu geschrieben. In diesem Artikel sagte er, dass der
: Kuhröhrling die Grundmasse für Gummibärchen (Harribo..) sei.

: Gruss Markus

Hallo

Ich (der Falsche) habe mir die Mühe genommen den Artikel (des Echten) aus dem Archiv hervorzukramen, zu scannen und durch ein Texterkennungsprogramm zu zwängen. Der Artikel erschien 1994 in der Doppelnummer 9/10 der SZP. Etwas Satire und Humor kann ja auch hier nicht schaden.

Die alternative Pilzküche
Die Speisepilzsammlerinnen (natürlich gibt es auch Sammler. Der Einfachheit halber und um den Aufsatz lesbar zu gestalten, verwende ich lediglich die weibliche Form. Die Herren der Schöpfung mögen es mir noch für einmal verzeihen). Also, die Speisepilzsammlerinnen haben es heute wahrlich nicht mehr leicht, denn Steinpilze, Morcheln, Trüffeln und Eierschwämme sind rar geworden. Dies ist nicht zuletzt der Phantasielosigkeit unserer Gastronomie und der Ignoranz der Kochbuchautorinnen zuzuschreiben, welche sich aus irgendwelchen, schwer durchschaubaren Gründen nur mit wenigen, allgemein bekannten Pilzarten auseinanderzusetzen vermögen. Kein Wunder, dass diese Pilze immer weniger werden und, wenn es so weitergeht, mit der Zeit überhaupt verschwinden. Die echte Kulinarierin hat jedoch überhaupt keinen Anlass, darüber in Panik auszubrechen.
Sie erkennt vielmehr die einmalige Chance, ihre Kochkünste durch die Verwendung von weniger bekannten, köstlichen Schwämmen unter Beweis zu stellen. In Fachkreisen wird diese neue Zubereitungsform als «Alternative Pilzküche» bezeichnet.

An geeigneter Basisliteratur fehlt es nicht.
Sehr empfehlenswert wäre zum Beispiel das Werk «Fungi of Japan» von Imazeki, Otani und Hongo. Weil jedoch selbst eine gebildete Mitteleuropäerin nur bedingt in der Lage sein wird, japanische Schriftzeichen fehlerfrei zu entziffern, habe ich mich nicht darauf abgestützt. Aus ähnlichen Gründen ist die verfügbare Literatur aus Korea, den GUS-Staaten und aus Papua-Neuguinea weggefallen. Benutzen wir deshalb das kulinarisch ausserordentlich aufschlussreiche Standardwerk - der Titel ist mir leider entfallen - eines bekannten Autors, sorry ladies first, einer nicht unbekannten Autorin ... für unsere Studien. Alle dort beschriebenen Pilze werden in die Kategorien essbar, bedingt essbar, minderwertig und giftig eingeteilt. Etliche Arten sind leider nicht klassifiziert. Wenn man einem hartnäckig kursierenden Gerücht glauben will, handelt es sich dabei um die bevorzugten Speisepilze der Autorin.

Auswahlkriterien
Beschäftigen wir uns einmal mit den weniger bekannten Speisepilzen. Verzichten wir bewusst auf die langweiligen Rotkappen, die immer gleich schwarzen Totentrompeten und auch auf die nach Chlor riechenden Ader Becherlinge.
Mit dem Prädikat «essbar» hat der Autor nämlich auch einige Arten ausgezeichnet, die in unseren Wäldern und Auen überraschend häufig vorkommen, meist nicht erkannt oder aber übersehen werden.
Wie schon die Bezeichnung «bedingt essbar» vermuten lässt, handelt es sich hier um ungiftige, also geniessbare Pilze. Giftige Arten sind selbst für die überzeugte Jüngerin der alternativen Pilzküche tabu!
Minderwertige Pilze sind nicht etwa wertlos. Minderwertig sind sie lediglich in ökonomischer Hinsicht, weil die erzielbare Marge im Handel niemals diejenige der Trüffeln erreichen kann. Eine andere, treffende Definition habe ich in der praktischen Broschüre «Das kleine Überlebensbrevier», welches im Hungerjahr 1945 in Leipzig erschienen ist, entdeckt: Als «minderwertig» wird das Fleisch des Waldes bezeichnet, welches in der Regel beim Verzehr keine speziellen Beschwerden verursacht und deshalb zur Sättigung beitragen kann.

Meine 15 Favoriten der alternativen Pilzküche
1 . Kuhröhrling (Suillus bovinus) essbar
Geheime Grundsubstanz für lila Gummibärchen
2. Elfenbeinschneckling (Hygrophorus eburneus) essbar
Exotischer Geschmacksanflug von Terpentin
3. Rötlicher Holzritterling (Tricholomopsis rutilans) essbar
Schmeckt nach modrigem Holz, soll potenzfördernd wirken
4. Rotbrauner Büschelrübling (Collybia acervata) essbar
Die knackigen Stiele sind eine Delikatesse
5. Waldfreundrübling (Collybia dryophila) essbar
Geruch nach frischgesägtem Holz. Oh Waldeslust!
6. Spindeliger Rübling (Collybia fusipes) minderwertig
Soll die Verdauung überproportional fördern
7. Breitblättriger Rübling (Megacollybia platyphylla) essbar
Unzählige Proteinträger (Springschwänze) in den Lamellen
8. Grubiger Schleimrübling (Xerula radicata) essbar
Macht die Sauce sämig
9. Amiant-Körnchenschirmling (Cystoderma amiantmum) essbar
Neutralisiert vermutlich die Wirkung von Nr. 6 teilweise
10. Grünspanträuschling (Stropharia aeruginosa) essbar
Saucenbildner. Sie wird kompakt und schwarz
11 . Ziegelroter Schwefelkopf (Hypholoma sublateritium) minderwertig
Ergiebig und köstlich edelbitter
1 2. Blaublättriger Weisstäubling (Russula delica) essbar
Verkocht garantiert nie
13. Zitronentäubling (Russula ochroleuca) minderwertig
Überraschend variable Geschmackskomponenten
14. Rotbrauner Milchling (Lactarius rufus) bedingt essbar
Gibt dem Gericht eine sehr pikante Note
15. Stinkmorchel, Hexenei (Phallus impudicus) essbar
Erinnert an Rettich in Aspik

Pilzragout lucullus
Zutaten für 4 Personen
Mischpilze aus obiger Liste (je nach Fund), Zwiebeln, 4 Stück Pizza, Knoblauchzehen, Olivenöl (kalt gepresst), Kraftbrühe, Speckwürfel (ohne Knochen, nicht zu fett), Maizena, Vollrahm, frische Gartenkräuter gehackt. Salz, Pfeffer, Paprika. 4 Flaschen hervorragender Weisswein (Amigne, Hermitage, Yvorne usw.), 4 Flaschen guter Rotwein (z.B. Chateau Petrus).
Vorbereitung:
Zuerst den Backofen auf 200 Grad vorheizen, dann die aufgesammelten Fruchtkörper gut reinigen. Hierfür eignet sich das im Fachhandel erhältliche, spezielle Pilzlermesser mit integrierter Bürste vorzüglich. Niemals Wasser verwenden (Sandkörner sind eine wirksame Verdauungshilfe). Auch schmierige Huthaut oder Röhrenfutter nicht entfernen (Vitamine). In Stücke schneiden.
Wichtig:
Minderwertige oder bedingt essbare Pilze fünfmal abkochen. Kochwasser aber nicht weggiessen; diese Köstlichkeit wird später noch gebraucht.
Zubereitung
Unbedingt Rezept 2145 aus «La cuisine extraordinaire» von Paul Bocuse verwenden, aber das fertige Gericht keinesfalls persönlich abschmecken. Dann: Pfanne vom Feuer nehmen, Pilze in WC-Schüssel kippen und mildem bereitgestellten Kochwasser wegspülen. Pizzas im vorgeheizten Ofen knusprig backen. Die Wartezeit kann mittels des restlichen Weissweins überbrückt werden. Pizzas zusammen mit dem gut chambrierten Rotwein servieren. Fertig, Guten Appetit
Boletus (Der Echte)

Herzliche Grüsse
Sepp

Beiträge in diesem Thread

Röhrling - wer kennt ihn? -- Hedi -- 8. Oktober 2002, 21:56 Uhr
Re: Röhrling - wer kennt ihn? -- Matthias -- 8. Oktober 2002, 22:13 Uhr
Habe auch spontan an den Sandröhrling gedacht *oT* -- Leonie -- 8. Oktober 2002, 22:25 Uhr
Re: Röhrling - wer kennt ihn? -- Markus S -- 9. Oktober 2002, 08:40 Uhr
Re: Röhrling - wer kennt ihn? -- Boletus -- 9. Oktober 2002, 11:19 Uhr
Danke Sepp -- Markus S -- 9. Oktober 2002, 13:18 Uhr
Re: Röhrling - wer kennt ihn? -- Hedi -- 9. Oktober 2002, 19:47 Uhr
Frage an cortinarius - Röhrling -- Hedi -- 9. Oktober 2002, 19:50 Uhr
Re: Frage an cortinarius - Röhrling -- Matthias -- 9. Oktober 2002, 19:54 Uhr

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