[ Thread ansehen ] [ Zurück zum Index ] [ Vorheriger Beitrag ] [ Nächster Beitrag ]

Pilze Pilze Forum Archiv 2002

...und gleich nochmals ein Artikel zum Thema

Geschrieben von: Boletus
Datum: 29. November 2002, 14:22 Uhr

Antwort auf: Acromelalga-Syndrom (Boletus)

Diesmal aus der "SZP"Nr. 3 / 2002

Rund um Clitocybe acromelalga
Heinz Clemencon

Kürzlich wurden die europäischen Mykologen durch zwei Veröffentlichungen auf eine heimtückische, durch die beiden braunen Trichterlinge Clitocybe acromelalga und Clitocybe amoenolens verursachte Pilzvergiftung aufmerksam gemacht. Zunächst warnte Herr Stijve (2001 ) vor diesen Pilzen, und dann beschrieb Herr Flammer (2002) das Acromelalga-Syndrom in dieser Zeitschrift.
Dieser Artikel wurde von einem Bild von Lepista inversa begleitet, der als Doppelgänger der giftigen Clitocybe amoenolens gilt. Darauf habe ich dem Redaktor der SZP ein E-mail geschickt mit der Bemerkung, ich hätte ein Bild von Clitocybe acromelalga, allerdings kein schönes, sondern ein Laborbild. Und er bat mich, doch etwas dazu zu schreiben.
Clitocybe acromelalga wurde bereits 1918 von einem japanischen Arzt Namens Ichimura beschrieben, nach dem dieser einige Vergiftungen festgestellt hatte. Der aus der altgriechischen Sprache abgeleitete Artname ist gut gewählt und beschreibt die Vergiftungserscheinungen: acro- = Spitze (hier: Finger und Zehen), mel- = schwarz, da die Finger und Zehen dunkel rotbraun werden, alga = Schmerzen. Der Pilz wurde bald «Japans berühmter Giftpilz» (Imazeki & Hongo 1987: 67), denn er soll nach den japanischen Pilzbüchern nur in Zentral-Japan vorkommen, besonders häufig in der Nähe des Japanischen Meeres. Allerdings räumen einige Autoren ein, dass gesagt wird, er komme auch in Korea vor, aber sie scheinen nicht recht daran zu glauben.
Nationalstolz oder Misstrauen?
In Japan spielen die japanischen Pilznamen eine viel grössere Rolle als die deutschen Pilznamen bei uns. So wird (fast) jede neue Pilzart ausser mit dem wissenschaftlichen Namen auch gleich mit einem japanischen Namen vorgestellt. Da Clitocybe acromelalga meist in Bambushainen und Bambusdickichten vorkommt, ist der am meisten gebrauchte Name dokusasako; doku = Gift, sasa = Zwergbambus, ko = Kind; also etwa Gift-Zwergbambuskind, oder Zwergbambus-Giftkind. Viele Japaner glauben, dass er nur in Bambushainen und Zwergbambusdickicht wächst, aber einige Autoren räumen ein, dass er auch in Nadelwäldern angetroffen werden kann. Ein anderer Name ist yakedokin, ausgesprochen yakedo-king. Er bezieht sich auf die Vergiftungserscheinungen, yakedo = Verbrennung, kin = Pilz. Und da Clitocybe acromelalga meist im Bambusdickicht wächst, so wird er auch gelegentlich yabushimeji genannt, yabu = Dickicht, shimeji = ein Pilz mit dem Aussehen der Trichterlinge, Ritterlinge oder grösseren Rötlinge, die dann wachsen, wenn die Erde feucht geworden ist (shime- = feucht, ji oder chi = Erde).
Clitocybe acromelalga soll nicht selten sein, doch habe ich ihn wärend meines achtmonatigen Aufenthaltes in Japan nur ein einziges Mal gesehen, und das waren bereits etwas angeschlagene Exemplare, wie die fotografische Aufnahme zeigt.
Was sagen die japanischen Pilzbücher über die Vergiftungserscheinungen? Vier bis fünf Tage (nach Flammer ein bis zwei Tage) nach dem «Missessen» eines dokusasako schwellen Finger und Zehen auf, werden schwarzrot und brennen fürchterlich (im Japanischen sagt man oft «missessen» für «essen, was man nicht essen soll», so ähnlich wie im Deutschen «missbrauchen» etwa «brauchen, wie man es nicht brauchen soll» bedeutet). Die Qualen dauern bis zu einem Monat «oder auch länger», führen aber selten zum Tod. Allerdings bleiben oft Narben zurück, die an Verbrennungen erinneren sollen.
Nach diesem Abstecher nach Japan schauen wir mal nach, was Singer (1986) zur Systematik dieses Pilzes zu sagen hat. Zu meiner Überraschung reiht er ihn in seine Gattung Neoclitocybe ein, die sich von Clitocybe durch die koralloide Huthautstruktur oder durch eine im Substrat eingepfropfte Stielbasis ohne Basisfilz unterscheiden soll. Mir ist das nicht ganz geheuer, denn bei C. acromelalga finde ich weder eine koralloide Huthaut, noch eine kahle Stielbasis. Singer schreibt auch, dass die Arten der Gattung Neoclitocybe in Wäldern und meist auf Holz wachsen, aber Zwergbambus (sasa) ist ein etwa kniehohes Kraut, das baumlose Berghänge bedeckt; und der dokusasako wächst auf Erde. Die Japaner, sonst so eifrige Singer-Anhänger, sind auch bei Clitocybe geblieben.

Ergänzungen zum Bild, nach verschiedenen japanischen Autoren zusammengefasst:
Erscheinungszeit September-Oktober, selten im Frühling; meist bei Bambus, seltener in Nadelwäldern, auf Erde, bisweilen in grossen Hexenringen. Hut glatt und kahl, bei feuchtem Wetter leicht klebrig. Lamellen erst creme, dann zunehmend bräunlich. Fleisch geruch- und geschmacklos. Sporen rundlich bis eiförmig, 3-4 2-3mü; Wand glatt, inamyloid, acyanophil.
Sporenpulver weiss.
Bemerkungen: Im Bild gut sichtbar ist der kammerig-hohle Stiel, der von allen Autoren als «innen luftig» beschrieben wird. Der Hut ist auffallend dünnfleischig. Die Huthaut ist eine schwach gelatinöse Cutis aus zylindrischen, liegenden, locker verwobenen Hyphen mit Schnallen.
Literatur
Flammer, R., 2002: Das Acromelalga-Syndrom - eine seltene Pilzvergiftung. Schweiz. Z. Pilzkunde 80:55-56 (Heft 2/2002).
Imazeki, R. &T. Hongo, 1987: Colored illustrations of mushrooms of Japan Vol. 1 (Japanisch).
Singer, R., 1986: Agaricales in Modern Taxonomy. - 4. Auflage, Koeltz, Koenigstein.
Stijve, T., 2001 : Beware of those brown Clitocybes! - a new poisonous mushroom in Europe. -
Field Mycology 2:77-79

2002SZP/BSM

Gruss Sepp

Beiträge in diesem Thread

Acromelalga-Syndrom -- Boletus -- 29. November 2002, 11:26 Uhr
...und gleich nochmals ein Artikel zum Thema -- Boletus -- 29. November 2002, 14:22 Uhr
Beide sehr interessant. Danke! *oT* -- Georg -- 29. November 2002, 14:36 Uhr

[ Thread ansehen ] [ Zurück zum Index ] [ Vorheriger Beitrag ] [ Nächster Beitrag ]

Pilze Pilze Forum Archiv 2002 wird administriert von Georg Müller mit WebBBS 5.12.