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Pilze Pilze Forum Archiv 2004

Pilznachmittag, v. Harald-Andres

Geschrieben von: Notizbrettbildservice
Datum: 25. Mai 2004, 21:48 Uhr


Hallo, zusammen,
Der heutige Sommertag war verlockend.
Ich bin seinen Verlockungen erlegen.
Aber immerhin sollte man ja seine Pilzplätzchen regelmässig aufsuchen – na also…
Ich packe am frühen Nachmittag die brave Coolpix, verschiedene Behältnisse, Zeckenspray, Windjacke und frohe Erwartung und steige hinan Richtung Baldegg.
Heiss! Die Sonne tut ihr bestes. Ich komme ganz schön ins Schnaufen und biege als erstes rechts zu den Riesenschirmlingen ab.
Die wachsen am anstrengendsten Steilhang versteckt und haben sich mit diversen Unterholzbarrieren und Lothar-Baumleichen gut gegen Eindringlinge abgeschirmt.
Wie ich ankomme, bin ich nassgeschwitzt.
Der Empfang am Pilzplätzchen ist freundlich, aber zurückhaltend.
Ich sei schon lange nicht mehr dagewesen…
Ich nicke beschämt. Schliesslich hat man zu seinen Pilzplätzen eine Beziehung, und Beziehungen sollte man bekanntlich pflegen.
Nein, die Damen und Herren Schirmlinge seien noch nicht aufgetaucht, aber man sage gerne einen Gruss von mir, wenn es soweit sei.
Ich empfehle mich und steige die zwanzig Meter zu den Maipilzen auf.
Hier ist der Empfang einiges herzlicher, der letzte Kontakt ist kaum zehn Tage her.
Die letzten Überlebenden ihrer Art stehen tapfer im Hexenring und zeigen alle Anzeichen der Vergänglichkeit. Dunkelbraun und etwas unsansehnlich sind sie geworden, halten sich auf den madenschwachen Stielen mühsam, aber zuversichtlich aufrecht.
Ich verzichte aus Pietätsgründen auf das Zücken der Coolpix und wünsche einen schönen Nachmittag.
Ich gelange auf den Weg und sehe im Eingang des verlassenen Fuchsbaus nach den grünen Schwefelköpfen. Die sind den Weg alles Vergänglichen gegangen.
Letzte Woche war noch ein üppiges Büschel da.
Weiter vorne die stramm-militärisch organisierte Truppe der Faltentintlinge- weg…
Ich gehe ein Stückchen weiter und biege links in den Österliwald ein.
Wie überschwänglich üppig und krautig alles geworden ist!
Der Sommer ist voll selbstbewusst im Saft und lebt es demonstrativ und ungeniert aus.
Das Licht ist heller und schärfer geworden seit letzter Woche.
Es fällt schneidend und klar zwischen den Baumstämmen durch und lässt die Spitzen der Gräser gleissen.
Der Sommer hockt bereits heiss und wohlig und spinnwebig auf den grasigen Lichtungen und lässt das Gemück summend darüber tanzen.
Sogar die Fichtenschonungen sind nur noch zum Scheine düster. Das Licht malt scharfe Muster auf den Boden. Ich streife gebückt hindurch, die scharfen Zweige pfeifen auf meiner Jacke.
Keine Spur von Pilz hier.
Ich schwitze, binde die Jacke um die Hüfte. Es juckt überall. Schwärme von Mücken im Gegenlicht.
Weiter vorne – endlich – die Sommersteinpilzstelle.
Ich verlangsame den Schritt und strebe gemächlich in Richtung der weit auseinander stehenden Baumriesen mit den moosigen Füssen.
Was soll das? An vielen Stellen ist die alte Laubschicht vom letzten Jahr aufgewühlt.
Kein Pilz weit und breit. Ich bin verstimmt. Was soll das Gewühle? Dies ist mein Platz!
Immerhin – wer kommt hier das ganze Jahr immer wieder vorbei, pflegt den Kontakt zur Pilzstelle, redet mit den Bäumen, ist mit jedem vermoderten Strunk auf Du und Du?
Ich streune verstimmt herum. Nichts.
Nein, die Damen und Herren Steinpilze seien noch nicht dagewesen, höre ich endlich.
Die Schnecken hätten auch schon danach gefragt.
Beleidigt ziehe ich ab.
Weiter vorne ist die Stelle mit den vielen Täublingen.
Ich gehe etwas in die Hocke, summe vor mich hin und schaue.
Mir wird zusehends wohlig. Der Ärger von vorhin ist vergessen.
Der Vorteil im Frühling ist, dass man ohne Erfolgsdruck wie im Herbst, beschaulich seine Plätzchen aufsuchen und die Gedanken schweifen lassen kann.
Kein Täubling weit und breit.
Ich gehe die Kehre zum Martinsberg-Känzeli ab und biege dann links zum Teich ein.
Hier stehen die Scheidenstreiflinge. Hier ständen sie. Der Teich spürt den Sommer und gluckst mit warm in der Sonne glitzerndem Wasser und summt und gebiert und riecht, dass es eine Freude ist.
Er misst kaum zehn Meter.
Trotzdem soll in seinen Untiefen ja ein Ungeheuer wohnen.
Ich habe versucht es zu fotografieren:

Vielleicht könnt ihr es sehen.
Ich steige weiter Richtung Baldegg und sehe nach den Weisstäublingen. Nichts.
Weiter rechts stehen im Herbst die Hexenringe mit den Nebelkappen und den Nackten Ritterlingen.
Ich biege nach links auf meinen Lieblingsweg ein.
Er ist unglaublich schön.
Er empfängt mich mit verschwenderischer Gegenlicht-Stimmung, fliegenden Spinnwebfäden darin und tanzenden Mücken:

Weg.jpg

Leider sind die Spinnweben und Mücken nicht auf dem Bild. Die müsst ihr euch dazudenken.
Hier stehen immer Milchlinge, Täublinge, und die Böschung links hinunter Knollenblätterpilze, rechts hinunter Rotkappen.
Nichts zu finden heute.
Der Weg ist vermutlich verwunschen.
Ich habe in den vielen Jahren hier noch nie einen Menschen getroffen.
Wer hat aber dann den Weg getreten?
Vielleicht stammt er aus vorgeschichtlicher Zeit.
Vielleicht ist er nur für 1.92 m grosse, verrückte Klavierspieler zugänglich.
Oder nur Nachmittags genau um halb Vier offen.
Ich weiss es nicht.
Ich genehmige mir auf der Liegewise der Baldegg ein grosses Bier, stürze es in den Durst hinein in den erhitzten Körper hinunter und merke, wie mir angenehm schummrig wird.
Ich strecke die müden Beine und lasse die Wohligkeit strömen.
Hansi und Dagmar tauchen auf, im Velodress.
Ich erzähle mit schwerer Zunge etwas von Pilzen, Sommer, Spinnweben und Sonnenstrahlen.
Sie lächeln. Vielleicht haben sie mich verstanden.
Als ich die Augen öffne, ist es halb sechs.
Eigentlich wollte ich heute vor allem zu den Bächen mit den Perlpilzen an den Ufern.
Und zu den Flockenstieligen ein Stückchen weiter…
Nun, es gibt noch mehr schöne Sommertage.
Gruss, Harald Andres

Beiträge in diesem Thread

Pilznachmittag, v. Harald-Andres -- Notizbrettbildservice -- 25. Mai 2004, 21:48 Uhr
Re: Pilznachmittag, v. Harald-Andres -- elfi -- 25. Mai 2004, 22:09 Uhr
Re: Pilznachmittag, v. Harald-Andres -- Gerald -- 25. Mai 2004, 22:21 Uhr
Re: Pilznachmittag, v. Harald-Andres -- Manfred -- 25. Mai 2004, 23:26 Uhr
Danke euch! :-) *oT* -- harald andres schmid -- 26. Mai 2004, 01:58 Uhr
Harald, du schreibst wie du Klavier spielst ;-) *oT* -- Thomas Pruß -- 26. Mai 2004, 08:56 Uhr
Re: Pilznachmittag, v. Harald-Andres -- Gelbfieber -- 26. Mai 2004, 11:00 Uhr
:-) *oT* -- harald andres schmid -- 26. Mai 2004, 14:16 Uhr

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