[ Thread ansehen ] [ Zurück zum Index ] [ Vorheriger Beitrag ] [ Nächster Beitrag ]

Pilze Pilze Forum Archiv 2004

Ein paar Beispiele und ein Text von mir dazu:

Geschrieben von: harald andres schmid
Datum: 19. September 2004, 21:12 Uhr

Antwort auf: Steinpilze "züchten" (IrisG)

: Hallo,

: nach unserem Umzug liegen meine besten Steipilzgebiete fast 100 km entfernt.

: Hier gibt es auch Wälder, die so aussehen, als könnten hier Szeinpilze
: wachsen. Tun sie aber nicht.

tun sie im Moment auch anderswo nicht. Wart mal ab.

: Wenn ich nun aus dem fernen Wald ein paar große Steinpilzhüte hole und in den
: nahen Wald lege, damit sie ihre Sporen hier verteilen können, würde das
: helfen, die Steinpilze hier anzusiedeln?

Das kannst du natürlich versuchen. Hat in Ausnahmefällen schon funktioniert.
Betonung auf "Ausnahmefall". Eine Zucht-Technik kannst du das nicht nennen.

: Oder wäre es besser, ein paar Eimer Waldboden mit Pilzmyzel aus dem fernen
: Wald zu holen und im nahen Wald zu verteilen?

Mein Grossvater war Alpenpflanzenkenner.
Er hat mitgeholfen, den botanischen Garten Wien nach dem Krieg wieder herzurichten, d.h. das Alpinum.
Er durfte dafür in einer stillen Ecke seinen Steinpilz-Zucht-Versuchen nachgehen.
Er hat metertief Waldboden mit Mycel ausgegraben.
Er hat das ganze Jahr den Säure-Basen-Wert gemessen und verglichen.
Er hat die passenden Bäume dazu gepflanzt, oder das Mycel unter passende Bäume verpflanzt.
Er hat mit Treibhäusern das Klima kontrolliert.
Erfolg: null.

Zweites Beispiel:
Ein ehemaliger Fremdenlegionär (von dem ich Pilzesammeln und Kochen gelernt habe), wusste, wie es gehen würde, mit der Steinpilzzucht.
Wenn man ihn nur machen liesse, würde er:
Metertief Waldboden mit Mycel ausgraben.
Das ganze Jahr Säure-Basen-Wert messen und vergleichen.
Die passenden Bäume dazu pflanzen, oder das Mycel unter die passenden Bäume verpflanzen.
Ausserdem mit Treibhäusern das Klima kontrollieren.
Irgendwann würde er es ausprobieren, denn die Methode sei fail-save.
Er hat sich zu Tode gesoffen, ohne es auszuprobieren.

: Oder ist das alles eine ganz dumme Idee und sollte man sowas gar nicht
: machen, so nach dem Motto: "Wenn hier keine Steinpilze wachsen dann
: gehören hier auch keine hin"?

Könnte man auch sagen.
Schau allerdings lieber in einer Woche noch mal nach.

Hier noch ein Text. Ich habe ihn vor zwei Monaten publiziert.
In der SZP, Schweizerische Zeitschrift für Pilzkunde:

Pilzzucht-Anleitungen (Teil 1: das Unmögliche als Verkaufsschlager)

Das Internet: es besteht aus einer riesigen Datenmenge, einer faszinierenden Überfülle an menschlichem Wissen, allerdings schlecht aufbereitet und schlecht gefiltert.
Das mit dem schlechten Qualitäts-Filter hat mit dem „Jekami“-Charakter des Mediums zu tun: Was früher anerkannten Koryphäen - meist in Instituten und Universitäten - vorbehalten war, nämlich den (vermeintlich) aktuellen Stand des menschlichen Wissens in Umlauf zu bringen, kann heute von jedem, der sich dazu berufen fühlt, übernommen werden. Nur dass sich die meisten damit - übernehmen.
Ich weiss nicht mehr, wer genau es war, der diesbezüglich folgende Definition in Umlauf brachte:
Internet: das ist, als ob sie in einem teuren Restaurant vom Kellner die Auskunft bekämen:
"Heut kocht für sie ihr Tischnachbar!"
Daraus könnte in Ausnahmefällen ein kulinarisch unvergesslicher Abend entstehen, doch normalerweise würden wir diesen Job lieber dem Fachmann in der Küche anvertrauen.
In der Pilzwelt sind die selbsternannten Experten gleich scharenweise auf dem Vormarsch. Im Internet finden sie dafür ein dankbares, unüberschaubar grosses Publikum.
Lachhaftes, Kurioses und höchst Bedenkliches findet sich da allerdings in Hülle und Fülle.
Wunderbar etwa die neu erstandene Fraktion der "Pilzzucht-Experten": Nichts, was früher klar zum Fehlschlagen verurteilt war, scheint heute mehr unmöglich, ja es wird sogar aggressiv vermarktet.

Moderne Pilzzucht – hierfür ein hübsches Beispiel:

Das folgende Glanzstück möchte ich den Lesern nicht vorenthalten und so bringe ich den Text ausnahmsweise als Zitat (ohne jede orthographische Korrektur) in voller Länge. Die Abhandlung ist typischerweise (!) Teil einer ganz ansprechend daher kommenden, wissenschaftlich anmutenden Website, jedoch... - aber lesen sie selbst:

"Will man Wildpilze vermehren, nimmt man geschlechtsreife alte Pilze, gibt sie in eine Schüssel, schüttet Wasser dazu, rührt kräftig um und drückt die Pilze aus, damit die Pilzsporen ins Wasser übertreten können. Dieses Pilzwassergemisch schüttet man auf den Wurzelbereich der zukünftigen Wirtsbäume. Dazu ist aber nicht jeder Baum geeignet, sondern der Wirtsbaum muss auch zum Pilz passen. Einen Birkenbaum z.B. kann ich mit Birkenpilzen, Rotkappen, Fliegenpilzenvergesellschaften. Eine Weißbuche mit Hainbuchenröhrling, Orange und Violetter Laktrichterling, Hexenröhrling und grüner Knollenblätterpilz. Eichen mit Graugrüner Täubling, Fliegenpilz, Eichensteinpilz und Sommerröhrling Trüffel. Kirschbäume mit Fliegenpilz und Kaiserling. Fichten mit Fliegenpilz, Stachelbeertäubling, Pfefferröhrling. An einzelwachsenden serbischen Fichten können auch Steinpilze wachsen. Schwarzkiefern können mit Körnchenröhrling und Kupferroten Schmierling vergesellschaftet sein. Die Liste könnte man beliebig fortsetzen. Dies kann man in Hausvorgärten, aber auch in Stadtnahen Wäldern machen, indenen die Pilze ausgerottet wurden. Auch bestens ist, diese Methode bei Umweltbedingten Waldzerstörungen und Neubestockung. Bei Neubestockung wäre es notwendig, die Setzlinge beim Setzen mit einer Bodenausschwemmung von bestehenden Wäldern zu gießen, sozusagen als Starthilfe im Herbst mit einer Pilzaufschwemmung für die Wurzelsymbiose der Bäume."

So einfach geht das. Erstaunlich, dass bisher noch nie jemand darauf gekommen ist!
Ich sehe schon in meinen Lieblings-Pilzwäldern im frühmorgendlichen Nebel Heerscharen von geheimnisvollen Gestalten auftauchen, die aus riesigen Plastikkübeln den armen Bäumen die Pilzbrühe über die Füsse kippen...
Gut so! Vielleicht führt dies dazu, dass wir bald einheimische Kaiserlinge in den Läden für 3.50 Fr. das Kilo angeboten bekommen?
Der Gerechtigkeit halber möchte ich anmerken, dass ich Fälle kenne, wo ähnliche Techniken - zum Beispiel das Verstreuen von Pilzrüstabfällen an geeigneter Stelle - zum Erfolg geführt haben, etwa beim Rotfuss-Röhrling (Xerocomus chrysentheron), Schopftintling (Coprinus comatus) und anderen Arten.
Auch Luce Höllthaler erzählt in seinem lustigen Pilzbuch, dass er die Gewohnheit pflege, Rüstabfälle von Morchelfunden vor seiner Hintertür zu verstreuen, was plötzlich dazu führte, dass Käppchen- Spitz- sowie Speisemorcheln dort wüchsen.
Allerdings scheint ihn der unverhoffte Erfolg selbst skeptisch und nachdenklich gemacht zu haben, so dass er in einem Nachsatz augenzwinkernd erklärt, dass es vielleicht daran liege, dass er "in Morchelkreisen ein gewisses Ansehen geniesse".

"Züchten": eine Frage der Definition

Seine Zweifel ehren den Luce Höllthaler, denn - folgendes sollte festgehalten werden:
Nette Einzelerfolge lassen sich nicht zur "Zucht-Technik" stilisieren!
Doch auf genau diesem Grundirrtum fusst nach meiner Meinung fast alles, was uns an bahnbrechenden "Erfolgen" auf diesem Gebiet vermeldet wird.
Generell scheint es eher zu gelingen, ein Mycel heran zu züchten, als nachher dieses Mycel auch noch zum Fruktifizieren anzuregen. Wahrlich noch kein Zuchterfolg, so ein bisschen Mycel...
In unserer rendite- und terminorientierten Zeit bedeutet "Züchten" nämlich folgendes:
Pilzzucht: Ich kann auf einen bestimmten Termin eine bestimmte Menge bestimmter Pilze liefern.
Basta. Genau dies ist nach wie vor nur mit einer sehr beschränkten Anzahl von Arten möglich, nämlich den bekannten Zuchtpilzen sowie wenigen, unpopulären Sorten.
Unter diesem Aspekt betrachtet, müssen "sensationelle" Meldungen von "Zuchterfolgen" mit Morcheln, Steinpilzen, etc. ganz anders gewertet werden.
Selbst die Trüffel-Magier, die das Geheimnis der Impfung von Eichenschösslingen zur Trüffelproduktion kultivieren, wehren sich gegen den Begriff „Zucht“ für ihr geheimnisvolles Treiben.

Ein Beispiel aus der Praxis:

Nehmen wir das Beispiel eines Gärtners aus meiner Nähe, der vor vielen Jahren die Idee mit der Zuchtmorchel hartnäckig verfolgte.
Mit hochgeheimen Ideen und Methoden bearbeitete er in jahrelanger Arbeit unterschiedlichste Substrate und Nährböden in einem grossen, abgeschirmten Areal seiner Gärtnerei und tatsächlich - eine Morchel - kleinfingergross - streckte plötzlich den Kopf heraus!
Bahnbrechender Erfolg? I wo! Unter obigem Aspekt der Rendite betrachtet, ein katastrophaler Reinfall, denn ein mit solchem Aufwand "gezüchtetes" Morchel-Einzelexemplar verlangte nach einem Handelswert von vielleicht 50`000 Franken. Da lässt sich wohl schwer ein Abnehmer finden...
Kritisch zu Ende gedacht: Dieser "Zuchterfolg" lässt sich nicht einmal wissenschaftlich belegen, da nicht klar ist, ob die Morchel aus Versehen dort wuchs, also vielleicht nicht wegen, sondern trotz der Bemühungen des armen Gärtners...

Schnelles, leichtes Geld mit Pilzzucht

Spätestens nach einem hoch interessanten Pilzzucht-Lichtbildvortrag von Xaver Schmid, der selbst über eine lange Zeit kommerziell Pilze züchtete (Shiitake und andere), wurde mir klar:
Schon die Produktion der anerkannt rentablen Zuchtpilze ist harte Knochenarbeit, braucht schier unendlich viel Erfahrung und hat mit dem schnell verdienten Geld nichts zu tun.
Trotzdem: Im Internet blüht das Geschäft mit allen möglichen Substraten, Sporenbrühen, Impfdübeln, Anleitungen und Versprechungen.
Freilich ist hierbei nicht alles Unsinn und nicht alles unseriös. Es gibt einige brauchbare Pilze, bei denen der interessierte Amateur als Hobby-Pilzzüchter mit etwas Glück hübsche Erfolge erzielen kann, wenn er nur die nötige Geduld mitbringt – mit guten Speisepilzen wie etwa dem Stockschwämmchen (Kuehneromyces mutabilis), die in der Zucht den kommerziellen Anbietern zu aufwändig, ertragsschwach, terminlich zu unzuverlässig sind.
Dagegen ist aus meiner Sicht nichts einzuwenden.

Der grosse "Abriss" an den Leichtgläubigen

Problematischer ist der Nepp, bei dem dem für viel Geld der Einstieg ins grosse Geschäft mit dem Zucht-Steinpilz und der Hors-sol-Morchel angeboten wird.
Ist selber schuld, wer auf so etwas hereinfällt?
Vielleicht. Aber wenn ich sehe, zu welchen Preisen aufwändige Utensilien und Lastwagenmengen von Substrat für den Start in die kommerzielle Steinpilz-Zucht-Zukunft angeboten werden – da hört sich der Spass auf! So etwas ist kein originelles Kavaliersdelikt mehr, sondern schlicht - gewerbsmässiger Betrug.

: Gruß
: Iris

auch lieben Gruss, Harald Andres

Beiträge in diesem Thread

Steinpilze "züchten" -- IrisG -- 19. September 2004, 09:49 Uhr
bin auf die Expertenantworten gespannt!Gruss Hans *oT* -- hans hurter -- 19. September 2004, 10:16 Uhr
Re: Steinpilze "züchten" -- Manfred -- 19. September 2004, 12:14 Uhr
Ein paar Beispiele und ein Text von mir dazu: -- harald andres schmid -- 19. September 2004, 21:12 Uhr
Re: Steinpilze "züchten" -- karpfen -- 19. September 2004, 21:55 Uhr

[ Thread ansehen ] [ Zurück zum Index ] [ Vorheriger Beitrag ] [ Nächster Beitrag ]

Pilze Pilze Forum Archiv 2004 wird administriert von Georg Müller mit WebBBS 5.12.