[ Thread ansehen ] [ Zurück zum Index ] [ Vorheriger Beitrag ] [ Nächster Beitrag ]

Pilze Pilze Forum Archiv 2006

aktuelle Knollenblätterpilzvergiftungen

Geschrieben von: Ingo
Datum: 14. September 2006, 23:44 Uhr


Hallo Pilzfreunde,

in letzter Zeit häufen sich hier die Fragen nach dem Speisewert einiger Pilzarten.
Weiterhin kam das Thema Pilzvergiftungen im Zusammenhang mit guten Arten
zur Sprache. Ungekrönter Spitzenreiter ist wie so oft der Hallimasch. Das ist kein Wunder,
da die Hallimaschbüschel in einigen Regionen momentan massenhaft erscheinen.

Was mir aber momentan unter den Nägeln brennt, ist ein anderes Thema.
Leider fand gestern im Rahmen des Beitrages zu einem tollen Fund eines Ochsenröhrlings
einer kleiner Nebendisput statt, dem meiner Meinung nach wesentlich mehr Aufmerksamkeit
gebühren muss. Daher möchte ich dem Thema hier nochmal die ihm gebührende Aufmerk-
samkeit verschaffen.

Es geht mir um die 12 Vergiftungen mit dem Phalloides Syndrom in Westdeutschland.
Verglichen mit diesen Vergiftungen sind die Hallimaschallergien etwa so einzuordnen
wie ein gebrochener Zeh. Tut weh - wird aber wieder!

Leider konnte bisher niemand einen der betreffenden Beitrage der Tagespresse hierher
verlinken. Daher hier nochmal kurz der Grundtenor der Beiträge:
Es handelte sich bei den Vergiftungsopfern angeblich um Spätaussiedler aus dem Bereich der
ehemaligen SU, die bei der Suche nach Grünlingen Grüne Knollenblätterpilze als solche
erkannt und verwertet haben wollen. Vorneweg – es geht mir hier nicht um den Grünling.
Der von dieser Art möglicherweise verursachte Muskelschwund scheint nach den letzten
Berichten, rechtzeitig erkannt, auch erfolgreich zu kurieren sein.

In meiner ersten Reaktion auf den gestrigen Bericht befand ich, dass eine Verwechslung
von Amanita phalloides mit Tricholoma equestre eigentlich unmöglich sein sollte.
Daher verwies ich auf einen mir bekannten Artikel, nachdem es eher wahrscheinlich ist,
dass die Neubürger es auf den Gelben Knollenblätterpilz abgesehen hatten.

Ich habe mich gestern mal in meiner Literatursammlung umgesehen und den fraglichen
Beitrag auch gefunden. Erschienen ist er im “Tintling“ Nr. 28 vom 27.Oktober 2001.

Der Beitrag stammt von dem bekannten Sachverständigen für Pilzvergiftungen,
Herrn Harry Andersson aus Braunschweig, der unter anderem auch für das Giftinformations-
zentrum Nord in Göttingen tätig ist. Herr Andersson veröffentlichte in jenem Beitrag seine
Erkenntnisse, die er in einem, seinerzeit, aktuellen Vergiftungsfall mit ebenfalls zwei
vergifteten Spätaussiedlern machte. So kam Herr Andersson zu dem Schluss, dass sich die
betreffenden Personen eben nicht mit Knollenblätterpilzen vergifteten, weil sie diese mit allseits
bekannten Speisepilzen verwechselt hatten. Wozu denn auch. Diese Speisepilze kommen auch in
Osteuropa zum Teil häufig vor, sind dort gut bekannt und in der Regel auch gängige
Marktpilze. Als Verursacher wurde vielmehr eine Art ermittelt, die hierzulande keinerlei
Speisewert hat und in der Literatur häufig auch als Giftpilz eingestuft wurde – grundlos
übrigens, wie aktuelle Untersuchungen ans Licht brachten, nämlich Amanita citrina.

Der gelbe Knollenblätterpilz scheint zumindest nach aktuellen Erkenntnissen In Osteuropa ein
häufiger Pilz zu sein. Wogegen die Verbreitung des Grünen Knollenblätterpilzes gen Osten abzunehmen
scheint.
Das halte ich ebenfalls für eine logische, wenn auch für die umgesiedelten Gewohnheitssammler
bedrohliche Erklärung. Ich möchte auch davor warnen (wenn ich das darf?), die neuen Mitbürger
in dieser Hinsicht zu unterschätzen.
So veröffentlichte Herr Dr. Amalang von der UNI Greifswald vor einiger Zeit, ebenfalls im “Tintling“,
einen umfangreichen Bericht, nachdem er verschiedene Gebiete in Russland bereist hatte.
Im Wesentlichen kommt er zu dem Ergebnis, dass die Leute dort auf Pilze als Nahrungsergänzung
angewiesen sind und auch Arten verwerten, die hierzulande maximal noch als Foto im Forum herhalten
dürfen. Allerdings sollen sich die Menschen dort sehr wohl bewusst sein, was sie sammeln und wie
sie es am besten verwerten können. Selbst in armen Regionen möchte sich sicher niemand
seine Gesundheit zerstören. Vor allem, wenn man bedenkt, dass das Gesundheitssystem dort
mit unserem nicht vergleichbar ist.

Soweit zu den Zitaten aus der mir vorliegenden Literatur.

Mein Problem ist nun folgendes:
Scheinbar werden die Grünen Knollenblätterpilze hierzulande von einigen Spätaussiedlern mit
anderen, essbaren Wulstlingen verwechselt. Allein aus dem Grund, dass der Giftpilz dort nicht
vorkommt und diese Leute keinerlei Kenntnis von der Gefahr für Leib und Leben haben.

Ich weiß nicht, ob nach den seinerzeitigen Vergiftungsfällen irgendwelche vorbeugende
Maßnahmen erfolgten. Wenn welche erfolgten, dann ohne Wirkung, wie die aktuellen
Vergiftungsfälle zeigen.

Wäre es nicht möglich, bei dem ganzen Wust an Billigveröffentlichungen, die zur Zeit
im Buchhandel kursieren, wenigstens von verantwortlicher Stelle aus ein bebildertes
Informationsblatt für die Mitbürger, nach Möglichkeit in russischer Sprache, zu erstellen
und an diese zu verteilen?
Was würde so was kosten? Sicher doch keine 500.000,-€ - oder?

In einem aktuellen Artikel habe ich gelesen, dass eine Vergiftungsbehandlung mit dem
Phalloides - Syndrom im Schnitt ca. 10.000,-€ kosten soll. Allein aus finanzieller Sicht
sollte es doch im Interesse der Krankenkassen liegen, solche Kosten zu vermeiden.

Wäre das eigentlich nicht auch einmal ein praxisbezogenes Thema, wo die DGfM überregional
Profil zeigen und auf ihre Kompetenzen in Sachen Pilze verweisen könnte?
Und nebenbei – geht es nicht auch um Menschenleben?!

Ingo

Beiträge in diesem Thread

aktuelle Knollenblätterpilzvergiftungen -- Ingo -- 14. September 2006, 23:44 Uhr
"Geht es nicht auch um Menschenleben?" -- Heinz Ebert -- 15. September 2006, 00:25 Uhr
Re: "Geht es nicht auch um Menschenleben?" -- Pilzmichel -- 15. September 2006, 01:16 Uhr
ihr habt leider beide recht *oT* -- manu2 -- 15. September 2006, 01:07 Uhr
Re: aktuelle Knollenblätterpilzvergiftungen -- proletus -- 15. September 2006, 03:00 Uhr
Re: aktuelle Knollenblätterpilzvergiftungen -- Jochen Girwert -- 15. September 2006, 08:37 Uhr
Re: aktuelle Knollenblätterpilzvergiftungen -- Steininger -- 15. September 2006, 09:04 Uhr
Re: aktuelle Knollenblätterpilzvergiftungen -- Piwo -- 15. September 2006, 09:58 Uhr
Re: aktuelle Knollenblätterpilzvergiftungen -- Waldschrat -- 15. September 2006, 09:47 Uhr
Re: aktuelle Knollenblätterpilzvergiftungen -- florian31 -- 15. September 2006, 10:05 Uhr
kein angenehmes Thema, ... -- Ingo -- 15. September 2006, 12:38 Uhr
Re: kein angenehmes Thema, ... -- Hirschling -- 16. September 2006, 00:41 Uhr
Re: kein angenehmes Thema, ... -- manu2 -- 16. September 2006, 10:14 Uhr
Re: kein angenehmes Thema, ... -- Ingo -- 17. September 2006, 21:35 Uhr
Re: kein angenehmes Thema, ... -- florian31 -- 18. September 2006, 10:04 Uhr

[ Thread ansehen ] [ Zurück zum Index ] [ Vorheriger Beitrag ] [ Nächster Beitrag ]

Pilze Pilze Forum Archiv 2006 wird administriert von Georg Müller mit WebBBS 5.12.