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Pilze Pilze Forum Archiv 2006

Re: Andere Laender, andere Sitten

Geschrieben von: Saftling
Datum: 15. Oktober 2006, 00:08 Uhr

Antwort auf: Re: Andere Laender, andere Sitten (AK_CCM)

Hallo Andreas,

: ich vertrete die Ansicht: stets mit Maß und Ziel. Soll heißen, dass ich z.B.
: Sammelbeschränkungen bis einem gewissen Maß sogar für sinnvoll erachte, um
: den Menschen bewusst zu machen, dass auch Pilze Lebewesen sind und sie wie
: alles in der freien Natur nicht unerschöpflich zur Verfügung stehen.
: Außerdem braucht man eine Rechtsgrundlage, um den Pilztourismus, der
: hierzulande an einigen Stellen wirklich überhand zu nehmen scheint,
: einzudämmen.

Danke fuer dieses Argument! Das laesst mich erkennen, dass in meinen Ausfuehrungen nicht ganz klar geworden ist, worauf es mir im Kern ankommt. Sammelbeschraenkungen koennen akzeptabel sein, solange sie nicht mit dem falschen Argument begruendet werden, sie dienten dem Schutz der Pilze. Das halte ich definitiv fuer unbewiesen und eher fuer schaedlich. Mengenbeschraenkungen mit dem Zweck, dass auch Andere etwas finden koennen, sind voellig o.k. Nur sollte dann kein anderer Grund vorgeschoben werden!
Das ethische Argument - das mir im Prinzip sehr sympathisch ist - kann leider auch merkwuerdige Folgen haben. Als Entomologe bin ich mit den Folgen der ebenfalls unbewiesenen, aber von manchen gegen jegliche sachlichen Argumente resistenten Ignoranten gebetsmuehlenartig wiederholten Behauptung konfrontiert, Sammler wuerden die Schmetterlinge ausrotten. Ich sammle keine Schmetterlinge, aber benutze zum Fliegen fangen einen Kaescher. Das macht fuer viele Leute keinen Unterschied und ich bin schon Hunderte Male beschimpft worden mit so hirnrissigen Bemerkungen wie "jetzt fangen sie auch noch die letzten Schmetterlinge". Die in der Bevoelkerung offenbar weit verbreitete Ansicht, die Schmetterlinge wuerden seltener, weil die Sammler sie ausrotten, findet auch Niederschlag im NatSchG, wo z.B. das Fangen fast aller Tagfalter generell untersagt ist. Die Roten Listen werden trotzdem immer laenger. Auch hier ist tatsaechlich die - meist legale - Zerstoerung der Lebensraeume die Ursache des Rueckgangs vieler Arten. Nur wird das bald niemand mehr nachweisen koennen, denn als Folge der Sammelbeschraenkung gibt es kaum noch junge Leute, die sich mit Schmetterlingen beschaeftigen. Die Foerderung von Respekt vor allen Lebewesen ist ein wichtiges Ziel. Ob Sammelbeschraenkungen ein dafuer geeignetes Mittel sind, bezweifle ich. Stelle Dir mal vor, Du gehst mit einem Korb mit einigen schoenen Steinpilzen im Wald und auf einmal beschimpft Dich jemand "jetzt rotten sie auch noch die letzten Pilze aus". Ist das o.k.? Also ich finde, wir Pilzler waeren gut beraten, alles zu tun, damit so was nie vorkommt! Wie soll das gehen, wenn wir einerseits behaupten, die Vielfalt an Pilzen ist durch die Zerstoerung von Lebensraeumen bedroht und nicht durch das Sammeln, aber andererseits dennoch Sammelbeschraenkungen fordern? Diesen Widerspruch wird man einem Aussenstehenden nicht so leicht begreiflich machen koennen.

: Ferner halte ich eine Rote Liste als Bemessungsgrundlage der zu schützenden
: Arten für wichtig, weil nur sie den aktuellen Stand des Pilzvorkommens
: widerspiegelt. Wer jetzt argumentiert, dass die Pilze ja unsichtbar im
: Boden leben und man anhand den Fruchtkörpern gar nicht abschätzen kann,
: wie weit eine Art verbreitet ist, dem gebe ich prinzipiell Recht.
: Da sich aber auf der Basis von - wohlgemerkt verbindlichen - Roten Listen
: m.E. leichter neue Schutzgebiete erkämpfen lassen, haben die Vorschriften
: doch einen Sinn.

Da stimme ich Dir zu, wenn auch mit einigen Bauchschmerzen. Ich habe an mehreren Roten Listen zu verschiedenen Insektengruppen mitgearbeitet und auch einen umfassenden Beitrag ueber Geschichte und Konzept der Roten Listen publiziert (in "Rote Listen auf CD-ROM", Verlag fuer interaktive Medien) und glaube daher, mich mit der Materie auszukennen. Tatsache ist, dass Organismengruppen, fuer die es keine Rote Liste gibt, im Naturschutz (Schutzgebietsplanungen, Eingriffsregelung, etc.) keine Rolle spielen. Wenn wir wollen, dass Pilze im Naturschutz staerker beruecksichtigt werden als bisher, dann muessen wir Rote Listen erstellen. Mit diesen Listen wird aber auch Unfug getrieben. Z.B. werden mit Hinweis auf die Roten Listen Sammelbeschraenkungen gerechtfertigt. Das ganze Artenschutzrecht ist doch von der - von Wirbeltieren und manchen Pflanzen (v.a. Orchideen) abgesehen - irrigen Annahme geleitet, durch das Verbieten des Sammelns koenne man Arten schuetzen. Viele Entomologen weigern sich inzwischen, an Roten LIsten mitzuarbeiten, weil sie nach deren Erscheinen von den Behoerden Knueppel zwischen die Beine bekommen. Theoretisch ist das ja auch bei den Pilzen so (Saftlinge!), nur scheint das bisher niemanden zu kuemmern. Rote Listen ja, aber sie als Grundlage fuer Sammelbeschraenkungen zu verwenden ist ganz klar ein Missbrauch, der sachlich durch nichts gerechtfertigt ist. Nur hat dieser von den Autoren Roter Listen unzaehlige Male vorgebrachte Hinweis noch keinen Juristen in den Behoerden davon abgehalten, diesen Missbrauch zu begehen. Und es kommt noch schlimmer. Meine Mitarbeit an Roten Listen war frueher auch von der idealistischen Annahme geleitet, ich koenne damit einen kleinen Betrag zur Erhaltung bedrohter Arten, d.h. ihrer Lebensraeume, leisten. Ich verdiene einen Grossteil meines Einkommens mit sog. "oekologischen" Gutachten und weiss daher aus leidvoller Erfahrung, dass Eingriffe in wertvolle Gebiete durch den Nachweis, dass dort viele Arten der Roten Listen vorkommen, meist nicht verhindert werden. Zumindest bei groesseren Eingriffen in die Landschaft handelt es sich immer um politische Entscheidungen, die von oekologischen Argumenten nicht tangiert werden. Notfalls wird mit dem Totschlagargument, Arbeitsplaetze zu schaffen, alles andere vom Tisch gefegt. Das gilt selbst fuer absolute Hochranggebiete. Eines der Gebiete, an deren Untersuchung ich beteiligt war, beherbergt(e) fast 300 Rote LIste-Arten aus verschiedenen Organismengruppen. Das ist deutschlandweit ein sensationell hoher Wert. Die Flaeche wird z.Z. munter zugebaut...

: Aber die derzeitige Praxis ist blanker Hohn, insbesondere was die
: kostenpflichtigen Ausnahmegenehmigungen für's Pilzesammeln angeht - das
: kenne ich noch aus dem Mittelalter, da nannte man das Ablasshandel!

Sehr gut! 100%ige Zustimmung!

: Gruß, Andreas

Beiträge in diesem Thread

Andere Laender, andere Sitten -- Saftling -- 14. Oktober 2006, 00:38 Uhr
Re: Andere Laender, andere Sitten -- AK_CCM -- 14. Oktober 2006, 11:48 Uhr
Re: Andere Laender, andere Sitten -- Saftling -- 14. Oktober 2006, 16:50 Uhr
Re: Andere Laender, andere Sitten -- AK_CCM -- 14. Oktober 2006, 17:50 Uhr
Re: Andere Laender, andere Sitten -- Saftling -- 15. Oktober 2006, 00:08 Uhr
Re: Andere Laender, andere Sitten -- Der Juergen -- 15. Oktober 2006, 13:35 Uhr
Re: Andere Laender, andere Sitten -- Saftling -- 15. Oktober 2006, 16:55 Uhr
Re: Andere Laender, andere Sitten -- Der Juergen -- 14. Oktober 2006, 13:11 Uhr
Re: Andere Laender, andere Sitten -- Saftling -- 14. Oktober 2006, 17:07 Uhr
Re: Andere Laender, andere Sitten -- Werner -- 14. Oktober 2006, 17:30 Uhr
Re: Andere Laender, andere Sitten -- Saftling -- 14. Oktober 2006, 22:53 Uhr
Re: Andere Laender, andere Sitten -- Werner -- 16. Oktober 2006, 14:14 Uhr
Re: Andere Laender, andere Sitten -- Der Juergen -- 16. Oktober 2006, 18:20 Uhr
Re: Andere Laender, andere Sitten -- Alpenhans -- 14. Oktober 2006, 16:17 Uhr
Essbarkeit von Saftlingen -- Saftling -- 14. Oktober 2006, 17:27 Uhr

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