| |
Pilze Pilze Forum Archiv 2006
Rauscherfahrung mit Pilzen
Geschrieben von: Gehirnschnecke
Datum: 20. Januar 2006, 20:30 Uhr
|
Da es hier im Forum erst unlängst Thema war, hier ein sehr spannender Bericht über eine Rauscherfahrung mit "Narrischen Schwammerl", den mir ein Freund persönlich hat zukommen lassen. lg,
---- Studentische Weihnachtsferien. - Das bedeutet Oszillation zwischen mütterlichem Esstisch, nebligen Pubs, frustrierten Provinzfreunden und den vertrockneten Armen alternder Familienmitglieder, deren zärtliche Neugier dem Zeit des Jahres fernab weilenden Autor mit jedem Jahr wundersamer erscheint. Irgendwann im toten Winkel, der vom Jubel um die Ankunft unseres Erlösers und dessen ehebaldigsten Vertreibung durch allerlei Volksdrogen und Geknall eine Woche später aufgespannt wird, muss die Sache mit dem lachsfarbenen Haus zum ersten Mal zur Sprache gekommen sein. Eine der dicken, glanzgesichtigen Frauen - nennen wir sie Pottwal-Frieda -, mit denen sich meine Mutter seit ihrer Scheidung umgibt, hatte eben unser Wohnzimmer verlassen (wo meine Erzeugerin ihr wie üblich gegen geringes Entgelt cremefarbene Schultern und schmalzige Waden geknetet hatte) und meine Mutter zwitscherte Floskeln. Über dem Feld vor unserem Haus lastete die bleigraue Schwere eines winterlichen Spätnachmittags. Dahinter, etwa fünfhundert Meter von den Küchenfenstern entfernt, durch die ich nach draußen schaute, stand das neue Haus. Das Gebäude war ein schlichter Kasten, zwei riesige Fenster an der Frontwand, brettflaches Dach, lachsroter Anstrich; und es steckte den gutbürgerlichen Einfamilienhäusern in seiner direkten Nachbarschaft ästhetisch den Finger bis zum Dünndarm in den Arsch. Mama musste Pottwal-Frieda bereits erfolgreich vor die Tür gesetzt haben, denn ihre Stimme war um die übliche Höflichkeitsterz nach unten gestolpert. "Komisches Haus. Passt überhaupt nicht hierher. Was haben die sich nur dabei gedacht?", murmelte sie. Genießerische Enttäuschung.
An den Toren des Hades Dramatis Personae Bettlektüre ... Ein asketischer Psychonaut. Schlank, durchgeistigt, aristokratische Nase. Physiker. Sohn.
Am sechsten Januar fiel mir (nachdem ich beim verschlafenen Versuch, eine nicht vorhandene Morgenzeitung aus dem Postfach zu holen, bereits über einen fetten heiligen König gestolpert war) während eines erklecklichen morgendlichen Eierfrühstücks eine stattliche Menge bekömmlicher Drogenpilze im Kühlschrank meiner Mutter auf. Ich lud drei Freunde zu einem privaten war on drugs. Am frühen Nachmittag versammelte sich die Task Force "Hyphenschlucker" in meiner Küche. Bettlektüre, ein bebrillter Mathematiker alter Schule, den ich 1987 an der patagonischen Küste den Klauen eines Lämmergeiers entrissen hatte, und dem ich mich seither verpflichtet fühle, nahm 20 Gramm Philosopher Stones in seine Obhut. Der Autor setzte 2,1 Gramm Psilocybe cubensis im Grab seines Körpers bei. Das anwesende Weibsvolk staunte ehrfürchtig, lehnte aber feige jede Assistenz ab und bot lediglich an, die sichere Verdauung zu überwachen. Etwas später. Habt ihr schon mal ein wohlbekanntes Zimmer betreten und euch unverzüglich seltsam gefühlt, ehe ihr einen Augenblick später entdecktet, dass irgendein Möbel verrückt, eine Stehlampe entfernt oder die Gardine von diensteifrigen Wäschern abgehängt wurde?
Wir wechseln ins Wohnzimmer, das reichlich Sitz- und Liegegelegenheit bietet. Bettlektüre hechtet auf die Couch. Das schneefarbene Licht, das durch ein spitzenverhängtes Fenster fällt, erscheint mir plötzlich wunderschön, zärtlich, liebevoll. Ging es nach mir / sollten wir / wieder öfter in den Himmel schauen ...
Ein kurzes Schweigen entstand in unserer lümmelnden Runde. Sophie zupfte sich den Honigzwillingshalter zurecht. Zum Kaltbleiben lag allem Anschein nach keine Ursache vor. Karo, meine geliebte Lachmöwe, die vom periodisch wiederkehrenden Vergnügen, meine Launen zu ertragen, noch immer nicht gelangweilt ist, schmiegte sich an mich. Das bemerkenswert verzögert einsetzende Gefühl der Sicherheit und des Geliebt-Werdens hatte für kurze Zeit eine beinahe stoffliche Qualität. Ich, dieses Eine, das sich in drei Buchstaben pressen lässt und sich für immer einer nüchternen Analyse entziehen wird, erahnte sich dabei selbst als ein tiefer, hoch gefüllter Brunnenschacht, in dessen untersten Bereichen durch die Hand unnennbarer Wesen das Wasser in Wallung gebracht wurde, bis die Schockwellen dieser Empfindung bläschenschlagend aufstiegen und erkennbar wurden. Es fühlte sich großartig an, so dazuliegen, beide Arme um meine Liebste gelegt. Beim Schließen der Augen boten sich mir visionäre, mythisch aufgeladene Szenen. Ich erlebte eine Art Schöpfungsmythos, sah gefiederte Schlangen, Drachen, Helden im Existenzkampf. Die Eindrücke waren von einer strahlenden, organischen Gewalt. Ich spürte meine Handflächen feucht werden und bemerkte den Kloß im Hals, dessen Größe mir auf Trips stets zuverlässig die Nähe zum Egoverlust aufzeigt. Bettlektüre, eine Decke bis zur Nase hochgezogen, war zu diesem Zeitpunkt euphorisch: "Ich hebe grade voll ab!" Ich hatte das Verlangen, für einen Moment allein zu sein. Nach einem abenteuerlichen Aufenthalt auf der Toilette, der meiner verzitterten Hand-Auge-Koordination vollständige Aufmerksamkeit abforderte, betrat ich alleine das Badezimmer. Durch das Fenster fiel weißes Licht, das von einer solch bestürzenden Schönheit war, dass ich augenblicklich erschauerte. Dies allerdings war lediglich ein Mailüftchen gegen den visuellen Orkan, den die verfliesten Wände entfesselten. Die Formen ihrer graue Musterung, im nüchternen Zustand vollkommen reizlos anzusehen, verschwammen bei Betrachtung wie Öl in Wasser, erblühten in allen Farben, wechselten in pulsierender, energetischer Langsamkeit von Rubensschen Szenerien üppiger Körper zu unablässig morphenden Bildern zerreißender Leiber, deren archetypische Kraft meinen Körper an einem Badezimmerschrank abwärts auf den Fußboden gleiten ließ, wo ich in unnatürlicher Stellung, die Augen immer noch starr auf das unbegreifliche Geschehen gerichtet, für geraume Zeit liegenblieb. Es war großartig. Eine halbe Stunde später, innerhalb derer das Chaos von den verfliesten Wänden allmählich auf mich selbst übersprang, beschloss unsere Gruppe aus einer Laune heraus (ok, aus meiner Laune heraus), die Wohnung zu verlassen und in den bitterkalten Jänner hinauszuwanken. Bettlektüre kämpfte mit seinen Textilien. Ich wurde ungeduldig und verließ die Wohnung als Erster, vorerst allein. Die verschneite Umgebung erschien unglaublich hell. Meine Pupillen mussten extrem geweitet sein. Die emotionalen Kräfte, die der Pilz in mir freigesetzt hatte, ließen jede Alltäglichkeit zu einer über tausend Ecken dramaturgisch aufgeladenen Sequenz werden: Ein Schwarm Vögel, der lautlos vorüberglitt. Das Zupfen des Windes an den Bäumen eines kleinen Wäldchens. Ein ferner Pfiff. Während ich auf eine Gruppe geparkter Autos zusteuerte, gelangte das Knirschen meiner Schritte kaum noch an meine Ohren. Die Macht der Droge, die nun ihren betäubenden Gipfel erreicht hatte, schmolz die Grenzen meiner Persönlichkeit ein. Wer lenkte meine Schritte? Ich beobachtete interessiert mein mechanisches Vorwärtsschreiten. Die Zwiebel verlor Schale um Schale, schon waren jene Grenzregionen der Psyche, in denen Gewohnheit und Automatismen regieren, meiner Kontrolle völlig entzogen. Etwa eine Handbreit über dem Horizont, wo der stahlbedeckte Himmel beginnen sollte, löste sich die Wirklichkeit in ein glühend rot und orange beschriftetes, verschlungenes, kosmisch schwarzes Band auf. Ich stolperte zwischen einem toten Blumenbeet und einem schmutzigen Kombi auf die nahe Hauptstraße zu, von wo ich das meiner Wohnung vorgelagerte Feld überblicken konnte. Einen halben Kilometer entfernt, auf der anderen Seite der weiten Fläche (die mir als eine Art Bühne erschien oder der Szene eines Spielfilms entnommen, in der die Kamera zu Trommelschlagen in die Totale schwenkt), stand das lachsfarbene Haus. Unverzüglich wurde dieses Gebäude zum Zentrum des Universums. Ich war das Haus, das Haus war ich – oder sollte es sein. Die Erkenntnis überwältigte mich: Du bist ein lachsfarbenes, rotzfreches Ärgernis für die pottwalbeherbergenden Einfamilienhäuser dieser Erde – oder solltest es sein. Das ist in Ordnung, das ist deine Bestimmung. Am Himmel frohlockten die Engel und bliesen die Posaunen. Alles, was ich hörte, fühlte, sah, schien mir zu bedeuten geben zu wollen: "Es ist in Ordnung, du zu sein. Es ist deine Bestimmung." Diese "Aufmunterung zur Individualität" war mir sofort verständlich, es gab keinen Zweifel. Ich dachte an all die Dinge, die ich mir für meine Zukunft vorgenommen hatte, und von denen ich so oft glaube, dass ich sie niemals werde erreichen können. Ich torkelte zurück und begriff einige Sekunden später, dass ich dem Ruf meines Namens gefolgt war. Die Gruppe vereinigte sich wieder. Wir erkundeten die Nachbarschaft; graue Wohnblöcke, deren kommunenhaft eng zulaufende Gemeinschaftsgärten einen Zusammenhalt vermitteln sollten, den diese schlecht beleumundete Gegend höchstens in den ersten Jahren ihrer Existenz hatte einlösen können. Die Zeichen des Verfalls hämmerten in meinen übersensiblen Verstand: Bröckelnder Putz an der windzugewandten Seite eines verrammelten Balkons, ein verbeultes Auto ohne Nummernschild, ein brillentragender, solariumbrauner Idiot Mitte Vierzig, der seiner höchstens vierjährigen Tochter eine Schmähung zuwarf und mir mit einem Seitenblick zu sagen schien: Die Hälfte habe ich hinter mir. Karo schlug vor, die Unterwelt zu erkunden. Kurze Zeit wusste ich nicht was sie meinte. War diese Ansiedlung eine Stadt zwischen Leben und Tod, eine Stätte des Übergangs? Dann begriff ich: Sie sprach von einer unterirdische Parkanlage, die uns bei einem nüchternen Spaziergang, der Jahrzehnte in der Vergangenheit zu liegen schien, aufgefallen war. Die steil abwärts führende Zufahrt, die in Schatten endete, ließ Assoziationen wie Blumen in Zeitraffervideos wachsen. Und wäre es denn jetzt noch übermäßig verwunderlich, wenn das Eidolon des stolzen Achill hervortreten würde, um uns Kunde zu geben, dass er lieber der geringste Knecht auf Erden wäre als der König der Unterwelt? Als wir vor den vergitterten Toren standen, überschlugen sich meine Gedanken. Was treibt uns zu diesen Portalen? Kann es Zufall sein, dass wir hier Einlass begehren? Heißt die psychedelische Erfahrung sterben zu lernen? Warum wandeln wir freiwillig an den Ufern des Styx, ohne ein Goldstück im Mund zu tragen, um die Überfahrt zu bezahlen? Ist es nicht noch viel zu früh für uns? Ich war guter Dinge, als wir in meine Wohnung zurückkehrten. In den reizarmen Innenräumen erwachten erneut die Farben. Wir lagerten im Wohnzimmer, von Zeit zu Zeit ein verirrtes Wort sprechend, meist schweigend, tief in Gedanken und Halluzinationen versunken. Sophie, die sich ebenso wie Karo etwas langweilte, schlug vor, Essen zu machen. Bettlektüre und ich stimmten begeistert zu (obwohl mich kurz darauf die Ungewissheit packte, ob ich tatsächlich hungrig sei, was in minutenlange Gedankenspiralen führte). Die Frauen servierten schließlich. Bettlektüre stopfte Brot und Käse in sich hinein, ich bestaunte derweil in der Küche mein unangetastetes Stück Gebäck. Nur mit Mühe konnte ich den passenden Begriff für dieses gelborangebraune Gebirge im weißen Schnee finden. Am Nordhang dieser Unbegreiflichkeit, die da vor mir auf dem Teller lag, rollten Tränen aus verbranntem Teig in unermessliche Tiefen. Ich versuchte, Karo für die "Istigkeit der Form, die bloße kindliche Schau, den Dharma-Leib des Buddha hier vor unseren hungrigen Mäulern" und dergleichen mehr zu begeistern. Der erste Bissen war eine knirschend-krachige Grenzerfahrung. "Käse, Antikäse, Synkäse!" trötete von rechts die schmausende Bettlektüre, was eine Lachsalve auslöste. Ich schlug erneut die Zähne in mein hilfloses Baguette, und pendelte zwischen Abscheu und höchster kulinarischer Verzückung. Ich fühlte, dass der Trip nun schwächer wurde. Wir saßen in der Küche und redeten. Ich war erschöpft und sehnte mich nach dem glättenden, entspannenden Nektar der Verzückung, der vorsorglich für alle Teilnehmer bereitlag. Ich warf den Vaporizer an und einige Minuten später konnte ich wohlig im Stuhl zusammensinken, während das Marihuana den wirbelnden Mustern wieder Kraft gab. Wir stellten fest, dass kein Bier im Haus war und Karo rief zu einer Expedition zur nächsten Tankstelle. Die Autofahrt ist mir kaum im Gedächtnis geblieben. Ich hatte den Kopf zur Seite gelegt und beobachtete schläfrig die vorüber ziehenden Straßenzüge. Ich erinnere mich an einige Minuten in leichter Verwirrung, nachdem wir zurückgekehrt waren und biertrinkend zusammen saßen. Welche Bedeutung sollte dieser erwachsene Einwohner einer westlichen Industrienation den Omen einer Drogenerfahrung beimessen? Mit einem Anflug von Scham, wie ein Kind das die Geste eines Schauspielers nachahmt, lugte ich zum Fenster hinaus, ob das lachsfarbene Haus noch sichtbar sei. Aber da war es schon dunkel.
|
| |
Pilze Pilze Forum Archiv 2006 wird administriert von Georg Müller mit WebBBS 5.12.