Hallo, zusammen
Ich habe hier im Vorbeigehen ein paar hübsche Exemplare des Gelbstieligen Nitrathelmlings fotografiert.
Mycena renati - Gelbstieliger Nitrathelmling
Ich habe den Fund ohne weiter darüber nachzudenken mitgenommen um ihn gewohnheitsmässig zu mikroskopieren und durchzuschlüsseln.
Sollte eigentlich kein Problem sein, bei einem Pilz, den man schon so oft gesehen hat, oder?
Entsprechend gelassen ging ich dann ans Mik ran.
Dass das Unternhmen schnell in einen interessanten "Krimi" ausarten könnte, hätte ich nicht gedacht.
Die Verwirrung in der Literatur über den Pilz ist nämlich ziemlich komplett - man könnte fast meinen, die Autoren hätten von ganz verschiedenen Pilzen geredet:
B&K behaupten, das Ding hätte vereinzelte, spindelige Pleurozystiden.
Fehlanzeige.
Ich habe mehrere Präparate durchmikroskopiert und keine einzige gefunden.
Wenn man bei anderen Autoren in den Schlüsseln Pleurozystiden bejaht, gelangt man ins Nirgendwo.
In sich funktioniert der Schlüssel bei B&K für diesen Pilz allerdings lustigerweise, da dieses Detail im Schlüssel nicht gefragt wird.
Bei den Cheilozystiden die selbe Uneinheitlichkeit, besonders was die Form betrifft.
Ich habe in mehreren Präparaten ausschliesslich dick keulige Zystiden gesehen, ganz wenige etwas verlängert-zugespitzt.
Keine einzige mit fingerförmigen Auswüchsen.
Diese Beschreibung stimmt am ehesten mit der bei Krieglsteiner (Grosspilze Baden-Württembergs), S. 384, überein:
"54: Cheilozystiden in der Regel keulig oder, falls apikal stark verzweigt, bzw. ausgestülpt, mit meist keuligem Umriss und verschmälerter Basis."
Für andere Autoren sind die Cheilozystiden schlank-spindelig, mit langgezogenen stumpfen Verzweigungen, usw.
Da würde man in den Schlüsseln nie zum richtigen Pilz finden.
Gar nicht zu schlüsseln (!) ist der Pilz im "Gröger".
Das hat mich am meisten überrascht, weil ich sonst große Stücke auf dieses Buch und die ausgezeichneten Schlüssel halte:
Um zu Mycena renati zu gelangen muss man sich für den Teilschlüssel e auf Seite 350 entscheiden:
"Helmlinge mit abweichend gefärbter L-Schneide..."
Wie meinen?
Die Lamellen von M. renati werden mit der Zeit etwas rosalich, aber nicht die Schneide separat!
Beim gleichen Schlüsselschritt bei Krieglsteiner, S. 383, muss man sich für genau den umgekehrten Weg entscheiden, um dann anschliessend in die richtige Sektion (Rubromarginata) zu gelangen:
"26: Lamellenschneiden den Flächen gleichfarbig, blasser oder weisslich".
Na also.
Meine Frage ist die:
Was genau hat Gröger damit wohl damit gemeint?
Er legt sich lustigerweise nicht fest, welche Farbe die Lamellenschneiden denn nun annehmen sollten, erwähnt im Beschrieb lediglich die sich rosalich verfärbende gesamte Lamelle.
Wenn ich mein obiges Bild betrachte, sehe ich am Hutrand eine gelbliche Verfärbung der Lamellen, die ich allerdings eher als ein Verfärben durch "Vergammelung", nicht als ein typisches Artmerkmal interpretiert hätte.
Hat sich Gröger an einer solchen Gelb-Färbung orientiert?
Im Schlüssel weiter vorne, wo er die armen Schlüssler an der Sektion "e" vorbei sich verlaufen lässt, (S.335 unten) schreibt er:
"H: L-Schneide intensiver als die Fläche gefärbt: gelb, grünlich (oliv), orange, rot, braun, violett, fast schwarz (L. besonders im H-Rand-Nähe untersuchen ) ..."
In Hutrand-Nähe! Und eine ganze Palette von Farben wird angeboten - auch gelb...
Kann sich jemand einen Reim darauf machen?
Und einen Reim darauf, warum in Bezug auf einen recht häufigen, gut bekannten Pilz in der Literatur so ein lustiges Chaos herrscht?
(Ich hätte aufgrund meiner mikroskopischen Untersuchung der obigen Exemplare ausser mit dem Schlüssel in "Krieglsteiner" und dem makroskopischen Schlüssel im "Winkler" den Pilz nirgendwo vernünftig schlüsseln können, wenn ich ihn nicht schon gekannt hätte...!)
Ganz lieben Gruß, Harald Andres