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Pilze Pilze Forum Archiv 2011

"Myko-Archäologie"

Geschrieben von: Thomas Pruss
Datum: 22. August 2011, 14:59 Uhr


Moin zusammen,
gestern (Sonntag, 21. 8.) war ich eingeladen, zum „Tag des Waldes“ im Immenstedter Forst eine Pilzexkursion zu leiten. Mit von der Partie war auch Matthias Lüderitz von der mykologischen Arbeitsgemeinschaft S-H. Wir beide teilten uns in die Exkursion, wobei Matthias den theoretischen und ich den praktischen Teil übernahm.
Leider war die Pilzausbeute nicht so groß, aber dafür konnte Matthias einen überaus seltenen Gast während einer Vorexkursion finden, den wir den Teilnehmern auch zeigten:

Das ist der Orangefuchsige Raukopf (Cortinarius orellanus)

Zu diesem Pilz wusste Matthias ein paar interessante Details zu berichten:
Dieser Schleierling ist eine wärmeliebende Art mit (sub)mediterraner Verbreitung und in Deutschland auch fast nur in den wärmebegünstigten Gebieten vorkommend. Norddeutschland und in Sonderheit Schleswig-Holstein sind eigentlich viel zu kalt für den Raukopf. Die Bedingungen in diesem Frühjahr waren für den O.R. wohl so gut (trocken und warm), dass er reichlich Primordien für seine Fruktifikation bilden konnte.Die Tatsache, dass dieser Pilz im Immenstedter Forst in diesem Jahr fruktifiziert, zeigt zweierlei:

1. Das Mycel ist uralt, da es zweifellos aus einer Zeit stammt, in der es in Mittel- und Nordeuropa viel wärmer war als heute. Uralt kann also heißen: bis zu 1000 Jahre und älter. Zumindest im frühen Mittelalter, also vor gut 1000 Jahren gab es eine Warm-Zeit, in der das Klima dem Orangefuchsigen Raukopf in ganz Mitteleuropa zusagte, und aus dem das Mycel stammen könnte.

2. Daraus folgt, dass das Gebiet des Immenstedter Forstes in dieser langen Zeit ständig bewaldet war. Freilich: Die Bäume aus der frühen Zeit sind vergangen, doch das Mycel sucht sich natürlich immer wieder neue Partner.
Ich finde es hochinteressant, dass man über den Pilzbestand eines Biotopes Aussagen über sein Alter machen kann. Zumindest auch im Hinblick darauf, wenn ein solcher Wald als FFH-Gebiet ausgewiesen ist oder noch ausgewiesen werden soll.
Etwas salopp ausgedrückt, kann man bei dieser Art und Weise, die Entwicklung eines Biotopes zu beobachten und zu dokumentieren von einer Art "Myko-Archäologie" sprechen
Meines Wissens ist der O.R. als Erstfund in Nordfriesland einzuordnen.

Ist das Auftauchen de O.R. in NF nun ein Zeichen für den Klimawandel? Ganz bestimmt nicht. Man kann ein so globales Ereignis nicht an einer winzigen Kleinigkeit aufhängen. Allerhöchstens könnte man – wenn er denn in den nächsten Jahren m.ow. regelmäßig fruktifizierte – von einem winzigkleinen Mosaiksteinchen in dem großen Bild sprechen, dass uns den Klimawandel voraussagt.

Grüßlis
Thomas

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"Myko-Archäologie" -- Thomas Pruss -- 22. August 2011, 14:59 Uhr
Re: "Myko-Archäologie" -- Schnuffel -- 22. August 2011, 16:47 Uhr
Re: "Myko-Archäologie" -- Thomas Pruss -- 22. August 2011, 21:17 Uhr

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