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Ich habe in den Artikel von Geml & al. 2006 mal hineingeschaut. Zunächst muss man mal sagen, dass hier Sequenzen von weniger als 50 Kollektionen ausgewertet wurden, was mir bei einem weltweit verbreiteten Artenkomplex vor dem Hintergrund der Frage nach der Ursprungsheimat dieses Komplexes ehrlich gesagt sehr dürftig erscheint. Für Europa etwa wurden nur als A. muscaria ss. str. bestimmtes Material aus Surrey (UK) und von der polnischen Ostseeküste und ein paar A.-regalis-Kollektionen aus Norwegen aus einer früheren Studie mit herangezogen.
Was die Frage nach der ursprünglichen Heimat des Fliegenpilzes angeht, also praktisch wo die heute existierenden Fliegenpilzarten sich entwickelt und von wo aus sie sich dann ausgebreitet haben (Ausgangshypothese "Beringia", also nordwestliches Nordamerika und nordöstliches Eurasien), so wurden sicherlich ausgeklügelte Rechenverfahren und Modelle angewendet. Ich würde mich aber fragen, ob man überhaupt eine zuverlässige Antwort erhalten kann, wenn man die in Frage kommenden Gebiete so unterschiedlich intensiv "beprobt". D.h., wenn über 1/3 des wenigen untersuchten Materials aus Alaska stammt, wundert es mich wenig, wenn man dann dort die größte molekulare Vielfalt vorfindet. Etwa aus Europa hat man nach den molekularen Ergebnissen nur zwei Sippen, einmal 3 A. regalis aus Norwegen, das andere Mal 5 A. muscaria aus der nemoralen Zone. Schon da müsste man weniger punktuell sammeln, sondern gezielt versuchen, Diversität zu erfassen. Zudem gäbe es da ja noch A. pseudoregalis, dann die komischen Teile, die in südeuropäischen Eukalyptus-Pflanzungen gefunden werden (A. heterochroma etc.), oder die sog. A. muscaria var. inzengae, die wohl ausschließlich bei Zistrose vorkommt und sicherlich auch etwas eigenes, vermutlich im Artrang, ist. Für andere Gebiete der nördlichen Hemisphäre gilt sicherlich Ähnliches. Ich denke, hier ist noch eine Menge an relevanter Information für die phylogeographische Rekonstruktion unberücksichtigt geblieben, mit der sich das Bild auch noch ändern könnte.
Um zur Ausgangsfrage des Threads zurückzukehren, zum Rang von Amanita regalis:
Nach (nach meiner Kenntnis) letztem morphotaxonomischen Stand wird A. regalis auf Artebene gegen A. muscaria abgetrennt. Letzterer wird eine Reihe von Varietäten und Formen zugesprochen. Persönlich denke ich, dass diese zum Teil wohl taxonomisch irrelevant sind (z.B. flavivolvata mit gelben Flocken), zum anderen jedoch gute Arten sein könnten (var. inzengae bei Zistrose mit anderer Stielbekleidung).
Die molekularen Analysen in Geml & al. 2006, die in Bezug auf die europäischen Kollektionen eigentlich nur das bereits von Oda & al. 2004 veröffentlichte Ergebnis wiederholen, zeigen einerseits alle europäischen (norwegischen) regalis-Kollektionen zusammen in "Clade III" ("Eurasian-subalpine group" in Oda & al.) und andererseits alle europäischen muscaria-Kollektionen zusammen in "Clade II" (Teil der "Eurasian Group" in Oda & al.). Dies allein würde zunächst die Trennung von muscaria und regalis auf Artebene bestätigen, denn die einzelnen "Clades" (Kladoi) werden hier als Phylo-Arten angesprochen.
Zusammen mit den europäischen regalis steht ein Teil der regalis aus Alaska, und das ist in Ordnung. Gleich dabei stehen jedoch auch drei japanische Kollektionen, die wegen ihrer roten Hüte und weißen Velumflocken als muscaria bestimmt wurden (vgl. Oda & al. 2004:894). Ein Interpretationsfenster würde sich aufgrund dessen öffnen, dass die drei japanischen muscaria innerhalb von Klados III etwas abgesetzt stehen und möglicherweise einen Subklados, also ein anderes Taxon, bilden.
Der Klados II, der die europäischen muscaria umfasst, enthält auch weißhütige, gelbhütige und braunhütige Formen ("alba", "formosa" und "regalis") aus Alaska. Die zwei braunhütigen Formen wären aber wieder etwas abgesetzt und könnten ein eigenes Taxon darstellen.
Kurzum: Da besteht noch Forschungsbedarf, sowohl phylogeographisch als auch taxonomisch. Vorerst sollten wir meiner Meinung nach auch im Lichte dieser Studie an Amanita regalis auf Artebene festhalten - diese Auffassung wird durch die bisherigen Ergebnisse zumindest für Europa sogar eher unterstützt, aber es ist noch viel zu wenig Material sequenziert worden.
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