Liebestrank und Fliegenfänger

von: Walter Pilsak

Einige ernste und heitere Bemerkungen zum Thema Giftpilze und Pilzgifte

Kaum dass die Schwammerlsaison so richtig begonnen hat, tauchen auch schon Meldungen von Pilzvergiftungen in der Presse auf. Obwohl die eigentliche Pilzsaison erst im September beginnt, sind schon in den Monaten Juli/August die ersten Menschenleben zu beklagen. Schuld an den meisten Vergiftungen mit tödlichem Ausgang haben die Knollenblätterpilze. Diese gelten als wahre Massenmörder unter den Giftpilzen. Allein im Jahre 1946 starben in Berlin 50 Menschen nach dem Genuss dieser Pilze. Einer der tragischsten Vergiftungsfälle ereignete sich 1918 bei Posen. Von 40 Ferienkindern mussten damals 31 ihr junges Leben nach einer Mahlzeit aus Knollenblätterpilzen lassen. Auch aus früheren Jahrhunderten und sogar aus der Antike sind uns Fälle von tödlichen Vergiftungen bekannt. So sollen Persönlichkeiten wie der indische Religionsstifter Buddha (480 cor Chr.), Papst Klemens VII. (1534) und Kaiser Claudius (54 nach Chr.) nach Pilzmahlzeiten gestorben sein. Wen wundert es deshalb, dass der Regensburger Naturforscher des Mittelalters, Konrad von Megenberg den Ratschlag gab: Pilze gut und sorgfältig zubereiten um sie dann "mitsamt dem Essgeschirr aus dem Fenster zu werfen"!

So ernst das Thema Giftpilze auch sein mag, es lässt sich auch einiges amüsantes und belustigendes darüber erzählen. Obwohl wir heute 200 Jahre Pilzforschung hinter uns haben, ist es immer noch nicht gelungen, eine sichere Methode zu finden, die es uns ermöglicht, essbare von giftigen Pilzen zu unterscheiden. Nun, Witzbolde sagen, dass man zwar alle Pilze essen könne; einige Arten seien allerdings darunter, deren Genuss der Mensch nur einmal in seinem Leben auskosten kann. Diese Heldentat, nicht oder nur wenig bekannte Pilze als Speise zu testen, hat wohl schon so manch Mutigem das Leben gekostet.

Übrigens, kennen Sie folgende Geschichte? Da wünscht jemand einem entfernten Bekannten Beileid.
"Ich hörte, ihre dritte Frau ist auch gestorben.
Ja, leider
Woran starb eigentlich ihre erste Frau?
An einer Schwammerlvergiftung.
O wie tragisch!
Und ihre zweite?
Auch an giftigen Schwammerln.
Und ihre letzte Frau?
Sie ist die Treppe hinunter gefallen.
Ach, wie ist den das passiert?
Sie wollte keine Schwammerl essen!"

Giftpilze standen schon immer auf der Speiseliste. Sei es nun aus Unkenntnis oder aus Absicht - um unliebsame Menschen auf die Ieichteste Weise ins Jenseits zu befördern. Deshalb überließen die Römer die Zubereitung der Pilze wohl auch nicht den Sklaven sondern machten es selbst. Ob dies wirklich aus Angst vor Vergiftungen geschah, ist leider nicht überliefert. Es soll auch Gastgeber gegeben haben, die unliebsame Zeitgenossen mittels giftiger Pilzmahlzeiten aus dem Wege geräumt haben. Lukrezia Borgia soll beispielsweise zu denen gehört haben.

Pilze wurden nicht nur als Genussmittel verwendet. Auch als Rausch- und Heilmittel gebrauchte man sìe häufig. Das in einigen Pilzen enthaltene Ergotamin war jahrhundertelang von unschätzbarem Wert für Geburtshelfer und Hebammen. Ein anderes Pilzgift, das Psilocybin wurde als Mittel gegen chronischen Alkoholismus und zur Rehabilitierung von Kriminellen eingesetzt, da es ähnlich wie das LSD die Persönlichkeitsstruktur ändert.

Allgemein bekannt ist, dass der Fliegenpilz als Rauschmittel verwendet wurde. Ihn sammelten die alten sibirischen Völker wegen seìner Eigenschaft, Traumbilder vorgaukeln zu können. Der Fliegenpìlz galt als ein Geschenk der Götter. Auch die Priester der Mayas sollen ihn benutzt haben, um zu göttlichen Visionen zu kommen. Und in Indien trank man den Saft des Fliegenpilzes bei kultischen Handlungen. Ob der Fliegenpilz bei Tieren ähnlich wirkt, ist nicht bekannt. Man hat jedenfalls beobachtet, dass er zu den Leibgerichten der Renntiere zählt.

Seinen Namen hat er jedoch wegen seiner Verwendung als Fliegenfänger. Dazu schnitt man den Pilz in kleine Stücke und legte diese in Milch ein. In manchen Gegenden bestreute man den Hut auch nur mit Zucker. Der Fliegenpilz enthält neben anderen Giften nämlich auch ein Insektizid. Vom Fliegenpilz erzählt eine germanische Sage folgendes: "Jedes Jahr in einer rauhen Winternacht reitet Wotan mit seinem Gefolge durch den Wald. Sie fassten ihre Pferde jedoch so hart an, dass diese Schaum und Blut vor dem Mund hatten. Überall wo dieses den Boden getränkt hatte, wuchsen im Jahr darauf die wunderbar aussehenden, aber giftige Fliegenpilze.

Auch die Stinkmorchel wurde auf seltsame Art verwendet. Dies geschah, indem man sie als Zutat zu Liebestränken gebrauchte. In einigen Ländern soll man diesen Giftpilz noch heute ans Vieh verfüttern, um so seine Fruchtbarkeit zu vermehren. Aufgrund ihres seltsamen Aussehens und des widerlichen Gestanks brachte man die Stinkmorchel auch mit Hexen und bösen Geistern in Verbindung.

Als Liebestrank verwendete man auch den Tau, der innerhalb eines Hexenringes gesammelt wurde. Über diese im Kreis wachsenden Pilze ranken sich seit unzähligen Zeiten eine Menge Geschichten. In Frankreich hielt man sie für die Heimat großer Kröten mit hervorquellenden Augen. Bei uns glaubte man, dass diese Ringe in der Walpurgisnacht wuchsen, wenn die Hexen ihre Tänze aufführten.

Die Briten haben oder hatten zumindest in den vergangenen Jahrhunderten eine traditionelle Abneigung gegen Pilze. Man verabscheute sie und hielt sie als eine Art pflanzliches Ungeziefer. Schon den Kindern impfte man ein, dass man Giftpilze verachten und hassen sollte. In Wales nennt man Giftpilze noch heute "Fleisch der Gnome". Ganz anders dagegen die Franzosen. Die älteste Schrift über eine Pilzzucht hatte 1650 ein Franzose namens de Bonnefons verfasst. Da das Geheimnis der Pilzzucht wie ein Augapfel gehütet wurde, hatte Frankreich bis in die Anfänge unseres Jahrhunderts das Monopol in der Champignonzucht.

Wussten Sie übrigens, wie giftige und gute Pilze entstanden sind? In Böhmen gibt es darüber eine schöne Sage: Als einst Christus und Petrus durch ein Dorf gingen und Hunger hatten, baten sie um Brot. Währenddessen sie aßen, gingen sie durch einen Wald, wobei sie kleine Brotbröckchen verloren. An jeder Stelle wo ein Krümel hinfiel, wuchs ein Pilz. War das Brot aus hellem Mehl, entstanden essbare - war es aus dunklem, wuchsen giftige Pilze. Eine andere Version erzählt, dass Petrus und Christus bei ihrem Spaziergang durch den Wald ein Brotkrümel ausspuckten. Wo dieses hinfiel, wuchsen gute Pilze. Den beiden folgte aber der Teufel, der ebenfalls ausspuckte. An diesen Stellen gediehen jedoch nur giftige Pilze.



©Walter J. Pilsak


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