Survive!

von: Andreas Melzer


Auf einer verträumten Lichtung voller Laubhütten und improvisierter Wäscheleinen waren sie angetreten, sieben Mann und stolz wie einer. Die Tarnjacken waren schlammverkrustet und knirschten bei jeder Bewegung. Bisher war der Trainer ganz zufrieden mit der Gruppe gewesen.
"Herhören, ihr Weicheier!" grüßte der Trainer soeben und schritt die Reihe ab. Er hatte ein markiges Profil wie Sitting Bull oder Barbra Streisand. "Ihr denkt vermutlich, gleich gibt´s Frühstück, so mit Kaffee und Marmelade", fuhr der Trainer fort. "Doch merkt euch: Frühstück ist was für Muttersöhnchen. Wer was essen will, muß es sich schon selber aus dem Wald besorgen. Dafür ist der Wald nämlich da. Aber das hatten wir ja schon gestern beim Thema Beeren und Wurzelgemüse. Wo ist eigentlich der lange blonde Kerl?"
"Ins Krankenhaus geflogen worden", sagte jemand von ganz links.
"Aha? Deswegen ist der Hubschrauber hier herumgekurvt? Typisch Weichei!"
Ein paar Mägen knurrten Zustimmung.
Der Trainer gebot Ruhe. "Heute befassen wir uns mit einer der köstlichsten Sachen, die uns die Natur schenkt", sprach er voller Wichtigkeit. "Und zwar mit Pilzen. Schon mal was davon gehört?"
"Trüffeln sind teuer!" wußte jemand.
"Quatsch! Trüffeln sind keine Pilze, sondern soetwas wie Kartoffeln. Pilze haben immer Hut und Stiel. Herschauen!" Der Trainer zauberte hinter seinem Rücken ein hübsches Sträußchen verschiedener Pilze hervor, welches er über Nacht in eine Vase gestellt hatte, damit es sich frisch hielt. "Die habe ich gestern abend gepflückt, als die meisten von euch Schlaffsäcken angeblich Durchfall hatten. Und wie ihr seht, Pilze haben einen Hut mit einem Stiel daran. Jetzt wißt ihr Mimosen schon mal, wie ein Pilz aussieht. Irgendwelche Fragen?"
Ehrfurchtsvolle Stille war die Antwort.
"Weiter geht´s", fuhr der Trainer flink fort und gewährte jedem einen genauen Blick auf das Pilzbüschel. "Um herauszufinden, welche man essen kann, schaut man zunächst den Hut von unten an, wo sich ein Muster befindet. Entweder besteht es aus Löchern oder aus Streifen. Lochpilze kann man essen, kapiert?"
Man nickte froh, denn hier gab es eine Menge zu lernen.
Der Trainer machte auch keine lange Pause, sondern führte weiter aus: "Mit den Streifenpilzen ist das nicht so simpel. Wer kennt einen Streifenpilz?" Er blickte erwartungsvoll in die Menge.
"Ich habe als Kind mal ein Bild von einem Fliegenpilz gesehen", erklärte jemand stolz.
"Oho, da haben wir ja einen richtigen Experten unter uns. Was weißt du Klugscheißer denn noch so?"
"Der Grüne Knollenblätterpilz soll giftig sein", brachte der Experte vor.
"Toll!" meinte der Trainer dazu. "Wirklich toll, da kann ich mich ja beruhigt zurücklehnen und dir alles weitere überlassen."
"Nein, nein", wurde im Chor gerufen.
Zufrieden schritt der Trainer nochmals die Reihe ab, und zwar mit einem Gesicht, als hätte er schwere Kopfschmerzen und Schluckauf gleichzeitig. "Ihr glaubt wohl, mit Bücherwissen kommt man in der Wildnis weit? Verhungern würdet ihr. Also machen wir weiter. Der Grüne Knollenblätterpilz, von dem unser Experte so schwärmt, ist völlig harmlos, weil man ihn sofort erkennt. Er ist grün und hatte eine Knolle."
"Wo ist eigentlich die Knolle?" wollte jemand wissen.
"Das ist doch völlig egal. Was grün ist und irgendwo eine Knolle hat, ist automatisch giftig, basta."
"Und warum Blätterpilz?" bohrte der Jemand weiter, worauf der Trainer seine Stirn in Falten legte wie Marlon Brando.
"Das ist doch wohl glasklar. Weil das Ding auf dem Boden zwischen den alten Blättern wächst. Merkt euch: Es gibt Blätterpilze und im Gegenteil dazu Baumpilze, weil die an Bäumen wachsen."
"So wie Äpfel?" wurde wißbegierig eingehakt.
Der Trainer winkte ab. "So genau brauchen wir das gar nicht zu wissen. Wichtig allein ist, daß Baumpilze eßbar sind. Was haben wir also inzwischen gelernt, um nicht zu verhungern?"
"Baumpilze kann man essen, und von den Blätterpilzen sind die Lochpilze ebenfalls eßbar!" rief sogleich jemand von halbrechts.
Der Trainer nickte wohlwollend nach ebendahin. "Damit sind wir schon ein Stück weiter. Leider verschafft und das noch immer keine richtige Mahlzeit. Warum wohl?"
Für einen kurzen Moment herrschte grüblerisches Schweigen.
"Wir müssen die Pilze noch kochen", sagte jemand.
Man konnte sehen, wie sehr der Trainer litt. "Bübchnen, was soll der Unfug? Kochen ist bloß Weiberkram. Außerdem beschädigt es die Vitamine. Wir essen alles, auch unsere Pilze, wie es die Natur gemacht hat."
"Mit Schale?"
"Mit Schale", bekräftigte der Trainer. "Wo waren wir eigentlich stehengeblieben?"
"Mahlzeit nicht komplett."
"Korrekt! Lochpilze und Baumpilze sind nämlich selten. Folglich müssen wir unter den Blätterpilzen, die keine Lochpilze sind, noch ein paar eßbare herausfinden, also Streifenpilze."
"Champignons sind Streifenpilze, glaube ich", sagte der Herr in der Mitte.
"Glaub´ich, glaub´ich!" stöhnte der Trainer. "Champignons gehören nicht hierher, die sind gezüchteter Kram."
"Der Fliegenpilz ist ein Streifenpilz, aber giftig", meinte der Experte von vorhin.
Der Trainer klopfte ihm väterlich auf die Schulter. "Ich merke schon, daß die wichtigsten Grundlagen vorhanden sind. Damit hätten wir schon alles, was wir brauchen. Rote und grüne Streifenpilze sind giftig. Verstanden?"
"Rot-grün meiden", wurde beigepflichtet.
"So", sagte der Trainer gemessen, "nachdem ich euch auf Vordermann gebracht habe, könnt ihr losziehen und euer Frühstück besorgen. Aber ein bißchen hurtig, es fängt bald zu regnen an. Nicht, daß sich Mami bei mir beschwert, weil sich ihr Herzchen einen Schnupfen geholt hat!"



©Andreas Melzer


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