Sterben die Pilze aus?

von: Thomas Pruss

Sammelverbote in Wäldern um Ballungsgebieten, Pilzkontingentierungen in der Schweiz, in Österreich und Frankreich - es scheint, als hätte unseren Pilzen in Wald und Flur das letzte Stündlein geschlagen. Aber stimmt das wirklich?

Tatsache ist: Seit mehreren Jahren wird stellenweise ein bedrohlicher Rückgang der Pilzbestände beobachtet. Die Naturschutzbehörden im In- und Ausland reagierten darauf mit hektischen Aktionen, die sich in erster Linie gegen Pilzsammler richteten: Pilzsammelverbote vor allem im Einzugsbereich der Großstädte und - wie in der Schweiz, in Österreich oder Frankreich - mit Kontingentierungen. Hier darf jeder Pilzsammler pro Tag nicht mehr als zwei Kilo Pilze sammeln. Wer mit mehr erwischt wird - dort finden richtige Kontrollen durch die Polizei statt - muß mit empfindlichen Geldstrafen bis zu 1000,- DM rechnen - zahlbar an Ort und Stelle!

Aber ist das der richtige Weg? Warum die Pilze weniger werden, darüber gibt es eine Menge Theorien, deren wissenschaftliche Überprüfung nur zäh vorankommet:

1. Pilzsammler rotten die Pilze aus, indem sie alles wegsammeln, was irgendwie essbar ist. Ein schwerer Vorwurf, kann man doch davon ausgehen, dass es in Deutschland zwischen 5 und 10 Millionen Pilzsucher gibt. Gegenargument: Nicht nur essbare und hochbegehrte Pilze wie Pfifferlinge und Steinpilze nehmen ab, auch die weniger bekannten, die ungenießbaren und giftigen Pilze gehen zurück. Außerdem müssten z. B. Pifferlinge in Polen oder Tschechien schon längst ausgerottet sein, weil sie dort hemmungslos gesammelt und auf deutschen Märkten verkauft werden. Eine Abnahme aber ist nicht erkennbar, ansonsten wären diese Pilze hier schon so teuer wie Trüffeln.

2. Umweltverschmutzung: Abgase und saurer Regen haben den Wald so zerstört, dass den Pilzen die Lebensgrundlage entzogen wird: Die Bodenchemie hat sich geändert, viele Bäume, die mit Pilzen in Symbiose leben (Mykorrhiza) sind krank oder abgestorben. Gegenargument: Die Emmissionen sind in den letzten Jahren durch den Einbau von Filtern, durch Katalystoren und hochmoderne Heizungssysteme kontinuierlich zurückgegangen. Ausserdem müssten Pilze, die sich parasitisch ernähren (der Hallimasch z. B. greift bevorzugt kranke und geschwächte Bäume an) oder Totholz bevorzugen (viele Baumpilzarten), aufgrund besserer Lebensbedinungen zunehmen.

3. Der Naturschutz ist schuld. Paradox aber nicht unwahrscheinlich: Immer mehr Wälder werden "naturnah" gestaltet: Totholz bleibt im Wald, weil es eine ökologisch wichtige Funktion für zahllose Tierarten besitzt. Dadurch aber werden Pilzstandorte einfach zugedeckt. Pfifferlinge z. B., die gerne auf sauberem Moosgrund wachsen, finden solche Stellen nicht mehr. Folgerung: Pilze sterben nicht aus, sondern werden nur auf ein natürliches Maß "zurückgestutzt".

4. Der große Bestand an Wildschweinen in den Wäldern schadet der Pilzflora. Wildschweine sind ausgesprochene Pilzliebhaber. Aber sie machen nicht vor dem Fruchtkörper halt, sondern sie brechen über weite Flächen den Waldboden um und zerstören so das Myzel, den eigentlichen Pilz. In der Tat: Dort, wo keine oder nur wenige Wildschweine vorkommen, findet man häufig eine sehr große Arten- und Indviduenzahl von Pilzen im Wald.

5. Alle Befürchtungen sind umsonst, es handelt sich um natürliche Bestands- Schwankungen in Reich der Pilze. Das ist ein Argument, das vor allem Betroffenheitsökologen, die jede menschliche Regung in der Natur verdammen, gar nicht gerne hören, entzieht es ihnen doch ihre Existenzberechtigung. Aber man muß sich nur einmal vor Augen halten, wie fruchtbar Pilze sind. Beispiel Riesenbovist, der sehr oft so groß wie ein Medizinball wird und auf Viehweiden wächst: Dieser Pilz produziert die unvorstellbare Zahl von 15 Billionen Sporen pro Fruchtkörper. Würden alle diese Sporen einen neuen Pilz erzeugen, so hätte es die vierte Generation geschafft 249 Erdkugeln bis zu einem Meter hoch zu bedecken - inklusive der Ozeane, versteht sich! Es mag sich bei diesem Pilz um ein Extrembeispiel handeln, doch selbst kleinere Pilze erzeugen schon Sporenmengen, die in die Milliarden gehen. Und wo immer sich ein Lebensraum für eine Pilzart ergibt, wird er auch besiedelt. Ein überraschendes Beispiel sind die Kohleabraumhalden im Saarland, auf denen nicht nur eine ausserordentlich große Artenzahl wächst, sondern auch Pilze vorkommen, die man in dieser Gegend sonst nicht findet. Pilzparadiese aus Menschenhand und ein weiteres Indiz dafür, wie anpassungsfähig Pilze sind.

Fazit: Es mögen alle fünf Argumente bei dem Rückgang unter den Pilzarten eine gewisse Rolle spielen. Der Hauptgrund aber ist bestimmt nicht übermäßiges Sammeln. Es nutzt also überhaupt nichts, Pilzsammelverbote auszusprechen. Viel wichtiger ist es, die Lebensbedingungen für die Pilze zu optimieren: Weiteres Zurückschrauben der schädlichen Emissionen und – ja, auch ein verschärftes Bejagen des Schwarzwildes. Genießen wir also weiterhin die noch vorhandene Pilzfülle in unseren Wäldern, auf unseren Wiesen und Weiden – als Augen-, aber auch als Gaumenschmaus!



©Thomas Pruss, pruss@jahr-verlag.de


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