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Ascokolores in Rehna

Geschrieben von: Abt
Datum: 29. November 2015, 16:17 Uhr


Liebe Moosbecherfreunde,

drei Jahre ist es nun schon her, dass ich in Rehna zu Besuch war.
Wie ich aus Euren Leserbriefen weiß, erinnern sich viele von Euch immer wieder gerne an den seinerzeitigen Advents-Bericht:
http://www.pilzepilze.de/cgi-bin/webbbs/pconfig.pl?noframes;read=230064
Am Wochenende machte ich mich also aufgrund der vielen Anfragen nach dem Schicksal von Katrin und Torsten mal wieder auf die leider etwas langwierige Reise Richtung Osten und ich möchte Euch an ein paar Eindrücken vom vorweihnachtlichen Geschehen im mehr oder doch eher weniger schönen Mecklenburg teilhaben lassen.

Kaum bei ihm angekommen, führte mich der Hausherr und große Sohn Rehnas (Torsten hat in den Jahren 1995 bis 2001 sechs Mal hintereinander vom Bürgermeister den 'Goldenen Rehnaer Spaten' für den am sorgfältigst umgegrabenen Garten verliehen bekommen, anno 2002 brach am Spaten leider der Stiel ab und das war's dann…) erstmal stolz in seinen Garten, in dem doch so allerhand Krempel herumliegt. Gearbeitet wird hier zumindest vom 'Boss', wie er selbst sich morgens launig vor dem Spiegel begrüßt, schon seit Jahren nicht mehr.

Aber wofür hat der Herr denn auch den Knecht erfunden?
Ich muss zugeben, dass ich mächtig beeindruckt war vom prächtigen Ergebnis der Moosbecherlingszucht, die Torstis Schüler freiwillig für ihn anlegen mussten!
Nur wer selbst schon mal versucht hat, solch eine Kultur ins Laufen zu bringen, weiß, was für ein diffiziles Unterfangen das darstellt!

Dass es mit der Ordograwie bei den Kids noch nicht ganz klappt, fällt natürlich nicht in den Verantwortungsbereich unseres Pilzfreundes, der an der Dorfschule seinen überschaubaren Begabungen gemäß naturwissenschaftliche Fächer und Fußmalerei unterrichten darf.
Lehrer ist Torsten auch nach über sechzig Berufsjahren immer noch mit Leib und Seele, auch wenn er nicht alle seiner Schutzbefohlenen auf die richtige Umlaufbahn zu schießen vermag. Besonders grämt er sich nach wie vor über den gleich in mehrfacher Hinsicht zu kurz geratenen Dieter: "Der bleibt schon seit vielen Jahren jedes Mal mit einer Sechs in Vitaltaxonomie sitzen -und im Fach Herbarkunde krebst er auch stets auf einer Fünf herum. Der Knilch verschlampt selbst reichhaltigste Belege von 10 cm großen Pezizas, wirklich ein Jammer! Kürzlich hat er sogar mutwillig sein Mikroskop beschädigt, nur um keine Hausaufgaben mehr machen zu müssen… Und wenn ich ihn mal an die Tafel hole und ihn abfragen will, faselt er nur verworrenes Zeug von seinen Komplexen, die er jetzt erstmal untersuchen müsse. Gottlob sind nicht alle Schüler so! Man könnte meinen, Didi sei bereits ein vollends verknöcherter starrsinniger Opa!"

Na ja, Schwachmaat Didi hin oder her: Ein Lehrer, der nicht jammerte, wäre halt auch ein toter Lehrer...

Zuversichtlich war ich indes nach der Führung durch den Garten, dass ich angesichts des überaus reichen Octospora-Vorkommens damit rechnen konnte, am Abend endlich mit der in Rehna weltberühmten "Katrinschen Pilzsuppe Orangschner Art" Bekanntschaft schließen zu dürfen.
Doch da hatte ich mich geirrt, denn es gab etwas weitaus Besseres, der Jahreszeit Angemessenes:
Octospora-Gebäck!

Dröhnt stärker als jeder Haschkeks und -Ihr könnt mir glauben- uns flogen nach ein paar Happen im Nu die Löcher aus dem Käse!
(…)
Leider wollte das lustige Ascomyceten-Drogen-Pärchen mir am nächsten Morgen nach ausgeschlafenem Rausch die genauen Zutaten nicht verraten, denn es soll ein gut gehütetes Familiengeheimnis bleiben, welche Octospora-Art dafür sorgt, dass man abhebt.

Immerhin gaben sie mir aber ein paar wertvolle allgemeine Hinweise zur Verwendung von Moosbechern in der Küche, die ich Euch gerade jetzt, wo die Moosbecher allerorten aus dem Moos spitzeln, nicht vorenthalten möchte:

-Alle Apothezien müssen vor der Zubereitung stets zuerst mikroskopiert und bestimmt, sowie die Infektion des Wirtsmooses nachgewiesen werden. Moosbecher, die man nicht in beiderlei Hinsicht untersucht hat, dürfen nicht verspeist werden -im Zweifel einfach zum nächsten DGfM-Pilzcoach gehen, der kennt sich neben kleinen bryophilen Pezizales auch mit Moosen aus und hilft liebend gern bei der Bestimmung und der Suche nach Haustorien und Appressorien!

-Hat man nicht gerade vor, die Pilze knusprig zu frittieren, so sollte man bei Lamprospora und Neottiella (und, nebenbei bemerkt, auch bei einigen anderen Gattungen der Pyronemataceae) beim Putzen auf jeden Fall die Haare entfernen, sonst hat man sie nachher auf den Zähnen.
Solche Fälle sind, wie jeder weiß, in der Mykologie leider an der Tagesordnung: Mit diesen einstmals ganz netten Pilzfreunden ist dann traurigerweise von einem Tag auf den andern einfach nichts mehr anzufangen. Letzten Endes aber auch egal, denn die meisten Menschen sind ja, machen wir uns nichts vor, vollkommen unerheblich fürs eigene Wohlergehen.
Hm, genug Defätismus, hurtig zurück zu den Kochtipps: Die wenn überhaupt vorhandenen sehr spärlichen Pseudo-Haare der Arten aus der Gattung Octospora können bedenkenlos mitgekocht /-gebacken und -gegessen werden.

-Pasta-Liebhaber aufgepasst: Saucen auf der Basis von Moosbechern mit ornamentierten Sporen (Lamprospora, Neotiella und z. B. Octospora-Arten der Sektion Wrightoideae) schmecken besser: Aufgrund ihrer raueren Sporen-Oberfläche bleibt die Sauce nicht nur an den Nudeln besser hängen.

-Höchste Vorsicht ist bei Octospora leucoloma Hedw. geboten: Dies ist die einzige (und leider sehr häufige) in unseren Breiten vorkommende ungenießbare Octospora. Bereits ein Apothezium der Art kann mit seinem äußerst bitteren (von der im Wirtsmoos Bryum argenteum enthaltenen Gerbsäure herrührenden) Geschmack eine gesamte Moosbecher-Pfanne verderben!

-Dass man beim Verzehr von Speisen, die Octospora rubens (Boud.) M. M. Moser enthalten, keinen Alkohol trinken darf, da man sonst schnell eine rubinrote Birne oder Schlimmeres bekommen kann, lernt zumindest im Klosterstädtchen Rehna jedes Kind im Bio-Unterricht. Fast schon bedauerlich, dass die Art dort trotz intensiver Suche noch nie gefunden werden konnte.
-> Ein Umstand, der bei Torsti übrigens dieselbe Wirkung auslösen kann wie eine Vergiftung mit besagter Octospora:

-Wo wir schon beim Thema Farbe sind, kurz ein Schwenk in die Kosmetik: Wer regelmäßig Gerichte mit Moosbechern verzehrt (sehr gut ergänzen sich die Becherchen beispielsweise mit rotem Fischrogen -dazu ein Gläschen Sanddornlikör aus Rügen: das Auge ißt mit), hat per se eine gesunde Gesichtsfarbe. Dafür sorgen die in den Paraphysen reichlich enthaltenen Karotinoide, die wie Selbstbräunungscreme wirken!
Statt dem ewigen Maggi kommt bei Richter's übrigens an viele Gerichte Lugol: Das ist nicht nur lecker, sondern macht mit seinen Verfärbungen die Mecklenburger Küche gleich viel spannender!

-Weitere Tipps und natürlich endlos viele Rezepte lassen sich laut Katrin und Torsten im hoffentlich irgendwann mal erscheinenden Kochbuch (mit dem meiner Meinung nach etwas profanen und obendrein langatmigen) Arbeits-Titel "Es wird gebechert, so lange das Moos reicht!" nachlesen. Es fehlt leider noch ein Verlag für das Manuskript -also bitte weitersagen!

So, nun reicht es aber auch mit dem Einblick in den galoppierenden Rehnaer Ascokolores; schließen will ich mit zwei Ausblicken auf den Weihnachtsabend:

Für die Weihnachtsbaumdeko werden bei Familie Richter wie immer kleine Discokugeln mit areolatem Retikulum zum Einsatz kommen -Lamprosporas bestimmen beim Weihnachstlied-Singen, das ist wirklich mal was Anderes und "weitab vom Alltäglichen", die verblödeten Verwandten werden deshalb gar nicht erst eingeladen.

Unterm Baum werden in diesem Jahr übrigens obendrein anders als sonst auch noch für Ascofreaks eher ungewöhnliche Geschenke liegen: Taucherausrüstungen (für alle außer Torsten). In südlichen Gewässern wartet nämlich ein Unterwasser-Discomycet, der orangerote Scheiben-Anemonen-Becher, auf die Entdeckung durch die Angehörigen unseres Nordwestmecklenburger Pilz-Obernarren!

Torsti selbst bleibt natürlich zuhause -Ehrensache!
Er passt auf Haus und Garten auf und fährt zudem jeden Tag Sonderschichten mit seinem Aufsitz-Rasenmäher:
Wagenrad-Spuren im Wald herstellen, um dort im nächsten Frühjahr mit seinen Eleven in unmittelbarer Nähe von Rehna eine Lamprospora finden zu können…

Wünschen wir ihm viel Glück dabei!

Schöne Grüße sendet Euch:
Marcel

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