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Pilze Pilze Forum Archiv 2008
Re: Vermutlich naive Theorie-Frage
Geschrieben von: Wolfgang P. Antwort auf: Vermutlich naive Theorie-Frage (Violet)
Datum: 10. Dezember 2008, 23:53 Uhr
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: Liebe Experten, ich wunderte mich gerade darüber, dass Sparassis brevipes und
Hallo, Deine Frage ist gar nicht naiv, sondern trifft den Kern der taxonomischen Problematik bei Pilzen: Das Konzept der "biologischen Arten" über einen Kreuzungstest ist bei fast allen Pilzen nicht möglich, weil sie sich nicht in Kultur nehmen lassen. Sparassis wäre eine Ausnahme - da ginge es. Es gibt auch einige wenige Gattungen, bei denen das aktuelle Artkonzept tatsächlich über biologische Arten definiert ist, z.B. beim Hallimasch. Meist wird das Konzept der "morphologischen Arten" angewendet, d.h. wenn sich diverse Populationen in mehreren Merkmalen ohne Übergangsformen unterscheiden, wird davon ausgegangen, dass es sich um zwei Arten handelt. Das Konzept hat seine Tücken, denn es kann durchaus vorkommen, dass es im Gebiet des einen Forschers keine Übergangsformen gibt, in anderen Gebieten aber sehr wohl. Außerdem können mehrere Merkmale korrelieren, weil sie dieselbe Ursache haben Z.B. ein Pilz bildet, wenn er im Sphagnum wächst, blassere Fruchtkörper mit etwas größeren Sporen. Der Bearbeiter hätte jetzt schon drei Unterscheidungsmerkmale: Vorkommen bei Sphagnum, Farbe, Sporengröße. Aber eigentlich reagiert der Pilz nur mit der Farbe und der Sporengröße auf das geringere Angebot an Nährstoffen.
Dann gibt es drittens "genetische Arten", die über bestimmte Unterschiede im Genom differenziert werden. Alle drei Konzepte haben ihre Stärken uns Schwächen, liefern aber leider nicht deckungsgleiche Ergebnisse. Am zielführendsten wäre wohl, über genetische Methoden herauszufinden, welche morphologischen Merkmale Art-relevant sind und welche nicht. Bei Cortinarius wurde so z.B. herausgefunden, dass Violett-Töne an der Stielknolle nicht genetisch programmiert sind, sondern von Umwelteinflüssen abhängen. Jetzt kann man getrost alle Schlüssel, die dieses Merkmal verwenden, in die Tonne treten. Da sich "morphologischen Arten" mit den einfachsten Mitteln beschreiben lassen, und man mit "genetischen Arten" am zeit-effizientesten Publikationen herausblasen kann, werden wohl Amateure den ersten und Universitäts-Mykologen den zweiten Weg gehen, möglichst ohne miteinander zu reden. Zu Deiner Ursprungsfrage: ob morphologische Merkmale makroskopischer oder mikroskopischer Natur sind, sollte keine Rolle spielen. Es gibt aber durchaus immer mal Verirrungen, die mikroskopische gegenüber makroskopischen Merkmalen höher bewerten. Mein persönliches Low-Light dazu bleibt immer die Synonymisierung von Arrhenia spathulata mit Arrhenia retiruga (in Großpilze BaWü), nur weil die zwei armen Arten zufälligerweise gleich große Sporen haben und auch sonst mikroskopisch nichts Differenzierendes hergeben. Grüße, Wolfgang
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