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Pilze Pilze Forum Archiv 2010

Re: Wer sagt Ranga Yogeshwar bescheid?

Geschrieben von: Christoph
Datum: 20. Februar 2010, 11:39 Uhr

Antwort auf: Re: Wer sagt Ranga Yogeshwar bescheid? (BO)

Hallo Bernd,

genau das hatte ich ja gemeint - es kommt darauf an, wie man das Wort "Pilz" definiert.

Man könnte z.B. auch sagen, dass ein Wal und ein Fisch sei. Dass Wale verwandtschaftlich zu den Säugetieren gehören und meines Wissens - wenn ich das jetzt nicht falsch im Kopf habe - mit den Bären verwandt sind, bedeutet ja auch nicht, dass die Zoologen, die an Bären forschen auch Wale bearbeiten müssen.

Dein Blick auf die Pilze ist ein rein historischer, wie Du ja selber sagst. Dann müsste man aber auch konsequent sein und die Flechten nicht als Pilze sehen, obwohl es biologisch selbstverständlich Pilze sind.

Es gibt sogar enge Verwandtschaftsgruppen, in denen sowohl lichenisierte wie auch nicht lichenisierte Arten enthalten. Traditionell werden Flechten aber nicht von Mykologen, sondern von Lichenologen bearbeitet.

Dass die deutschsprachigen Namen für Pilzarten keinem Nomenklaturcode unterworfen sind, da sind wir uns, denke ich, völlig einig. Ich fand es immer schon albern, jede Umkombination ins Deutsche zu übertragen (Maischönkopf statt Mairitterling... *grusel*). Aber manche Begriffe definieren biologische Zusammengehörigkeiten - auch im Deutschen.

Tiere sind nunmal Tiere - oder sollte man sessile Korallen wie früher so geschehen nicht zu den Tieren zählen?

Pflanzen sind nunmal Pflanzen. Und auch hier gibt es das Problem der Algen, die nicht zu den Pflanzen i.e.S. gehören (z.B. Braunalgen, Rotalgen usw.).

Pilze sind Pilze, egal ob lichenisiert oder nicht, egal ob saprob lebend oder Mykorrhizapilz, egal ob Destruent oder Symbiont, egal ob ein- oder vielzellig.

Bakterien wiederum sind für mich weiterhin Prokaryoten. Actinomyceten sind für mich beispielsweise keine Pilze.

Zudem kann man im Deutschen auch ganz bequem sagen:
pilzartige Organismen... Aber vielleicht sind das auch biologische Spitzfindigkeiten.

Deine Argumente sprechen für mich eher dafür, die Pilze als Begriff ganz zu streichen und sie zu den Pflanzen zu zählen. Historisch gesehen ist die Mykologie eine Teildisziplin der Botanik. Die meisten Profimykologen (bei uns) - oder mittlerweile alle(?) - sind offiziell Botaniker (Lehrstuhl für spezielle Botanik usw.) oder gar Mikrobiologen (sind Pilze dann doch Bakteiren?).

In der Gesetzgebung sind Pilze immer noch Pflanzen. Passt also auch.

Die Zeitschrift GEO lässt die Pilze bei ihren Tagen zur Artenvielfalt immer noch als Mycophyta laufen.

Mir dreht es als Biologen dabei zwar den Magen um, aber was ist schon dabei?

Denke ich Deinen Ansatz konsequent weiter, sind alle Pilze und sogar manche Bakterien (Blau"algen", Strahlen"pilze" = Actinomyzeten, Mund"flora" *grins*) allesamt "Pfanzen".

Wenn man für sich privat den Begriff "Pflanze" so definiert, ist das halt so. Und das ist die historische Sichtweise.

Wenn Du den Begriff "Pilz" für Dich so definierst, wie Du es hier darlegst, ist das ebenfalls so und niemand kann Dir hier reinreden. Er ist weniger historisch, eben ein kleines Stück moderner, da Du die Pilze von den Pflanzen abkoppelst (warum eigentlich?).

Ich möchte nur zu bedenken geben, dass manchmal Dritee (andere Leser) solche Ansichten auch im biologischen Sinn übernehmen, da nicht jeder genau weiß, ob es nur eine historische Interpretation ist oder ob es um biologische Begriffe geht, die Verwandtschaften darstellen sollen.

Ich finde es beispielsweise sehr schade, dass viele Flechten nicht als Pilze wahrnehmen, nur weil sie statt mit Bäumen (z.B. Steinpilz) eben mit Algen (z.B. Xanthoria - ein wunderschönder Ascomyzet) zusammenleben.

Das führt dann zu solchen wunderbaren Blüten, dass in manchen Büchern zu lesen ist, dass Omphalina ericetorum auf einer Flechte parasitiert... Dabei ist er selber die Flechte und der Lamellenpilz ist nur der Fruchtkörper der Flechte.

Mir ist das alles zu kompliziert. Müsste ich auf einer Exkursion erklären, dass dieser kleine zierliche Lamellnpilz gar kein Pilz ist, weil er - obwohl ein Basidiomyzet - in seinem Myzel Algen als Zuckerproudzenten hält und deswegen eine Flechte und kein Pilz ist, komme ich mir sehr komisch vor.

Da finde ich es leichter zu sagen, dass eine Flechte in Pilz ist und ein falscher Mehltau kein Pilz ist, sondern nur aussieht wie einer.

Als Abschluss:
Für mich ist die Entenmuschel auch keine Muschel, sondern eine Crustaceae (Krebstier), trotz oberflächlicher Ähnlichkeit mit einer Muschel. Den deutschen Namen der Art ändere ich deshalb aber nicht, denn der Begriff Entenmuschel ist eingeführt und jeder weiß, was man damit meint.

Die Diskussion ist eigentlich müßig, da Du jeden Begriff so verwenden kannst, wie Du möchtest. Ich finde es aber interessant, herauszubekommen, warum so oft an solchen Begriffsdefinitionen (wie "Mycophyta" oder "Pflanze" im juristischen Sinne) festgehalten wird.

Allein, den Umkehrschluss über Begriffe wie "Mykologe", "Lichenologe", "Botaniker", "Phycologe" usw. kann ich für mich gar nicht nachvollziehen. Ein Phycologe schaut sich Algen an, weshalb "Blaualgen" keine Nakterien mehr sein dürfen? Ein Mykologe schaut sich auch Schleimpilze an, weshalb sie keine Amöben mehr sein dürfen? Beliebig fortsetzbar... ;-)

Schau Dir mal einen jungen Babyschleimpilz an. Na, wenn das keine Amöbe ist! Oder schau dir mal Dictyostelium an. Der bleibt Zeit seines Lebens als kleine Amöbe. Dass sie sich später treffen und gemeinsam einen winzigen "Fruchtkörper" bilden ist putzig, aber vorher kriecht das Gesamtgebilde wie ein Wurm durch die Landschaft. Es gibt schöne Filmaufnahmen davon. Wenn Du Dir das mal anschaust, dann würde mich interessieren, was an Dictyostelium überhaupt pilzartig sein soll.

Liebe Grüße
Christoph

(der nicht aus seiner Biologenhaut kann) ;-)

: Hallo Hagen, Christoph, Harald,
: ich musste ein wenig meine Gedanken sammeln, um mich wieder zum Begriff
: "Pilze" melden zu können.
: Für mich ist die Sachlage eindeutig: Für wissenschaftlich-lateinische Namen
: gibt es Nomenklaturregeln. Unter anderem hat das für diese Namen die
: Konsequenz, dass im Falle neuer Erkenntnisse zur Abstammung und
: Verwandtschaft diese Namen angepasst werden müssen, so heißt die
: Hasenpfote nun auf einmal Coprinopsis lagopus und der Glimmertintling
: Coprinellus micaceus.
: Für alle deutschen Bezeichnungen gelten diese Nomenklaturregeln aber nicht.
: So ist nach wie vor Bondarzewia montana ein Porling. Aber diejenigen, die
: einen falschen Mehltaupilz nicht mehr als einen Pilz bezeichnen wollen,
: müssten die Gattung Bergporling nun auch im Deutschen umtaufen. Ich
: schlage "Poren-Täubling" vor. Und Dichostereum durum [Tintling
: 1(4), S. 22, 1996] wäre dann auf einmal kein Rindenpilz mehr, sondern hier
: würde ich für die Anhänger der strengen deutschen Nomenklatur
: "Resupinat-Täubling" vorschlagen. Beide genannten
: Aphyllophorales haben derart typische Russula-Sporen, dass die direkte
: Verwandtschaft mit Russula nicht wegzudiskutieren ist. Auf dem kommenden
: Russulales-Kongress in Massembre im September werden solche
: Aphyllophorales also als vollwertige Russulales mitbehandelt.
: Der Glimmertintling wäre nun in die Gattung "Pseudo-Tintenpilze" zu
: stecken, aber man kriegt von da an sofort geschimpft, wenn man Tintling zu
: ihm sagt.
: Ergo plädiere ich seit einiger Zeit für die Rettung des deutschen Wortes
: Pilz, frei nach dem Motto: "Pilze sind Organismen, die gemeinhin von
: Mykologen bearbeitet werden". Pilz als Lebensform und nicht als
: nomenklatorisch-taxonomische Einheit.
: Übrigens: Für Schleimpilze werden die Nomenklaturregeln der Botanik und der
: Mykologie angewendet, obwohl Schleimpilze nicht dazu gehören. Die Anhänger
: der Anschauung, dass diese keine Pilze wären, müssten a) dafür plädieren,
: dass die Zoologie-Regeln gelten müssen, und b) dass diese spezielle Gruppe
: der Freizeit-Schleimpilz-Wissenschaftler auf gar keinen Fall als
: "Myko"logen bezeichnet werden dürfen. Ein Schleimpilzforscher
: ist dann auf einmal ein "Myxomykologe" (mein Vorschlag). Und ein
: Mykologen-Kongress muss fortan "Kongress der Mykologen, Myxomykologen
: und Pseudomykologen" genannt werden, um dieser vermeintlich falschen
: Anwendung des Wortes Pilz (mykos) Rechnung zu tragen und die Leute mit den
: Schleimpilzen und den falschen Mehltaupilzen auch zum Besuch aufzuforden.
: Sonst bleiben die nämlich in Zukunft weg und gründen ihre eigenen
: Kongresse, weil sie sich im Falle von "Myko"logenkongress gar
: nicht angesprochen fühlen. Entsprechendes gilt für die Worte Pilztagung,
: Pilz-Floristik, Pilz-Herbar, Fungarium, Funga und so weiter.
: Ich sehe schon einer Mitteilung über falsche Mehltaupilze und andere
: Oomyceten entgegen: "Die Pseudofunga in Deutschland: Neue Wirte, neue
: Fundnachweise". Hoffentlich wird diese Mitteilung dann überhaupt von
: den Mykologen und Pilzfreunden beachtet ...

: Also von meiner Seite ein Plädoyer für das Wort Pilz im weiten Sinne.

: Liebe Grüße in die Runde
: Bernd

Beiträge in diesem Thread

Gleich im Fernsehn -- dunkelmann -- 9. Februar 2010, 20:28 Uhr
Re: Gleich im Fernsehn -- Alis -- 9. Februar 2010, 21:54 Uhr
Re: Gleich im Fernsehn -- pilzmann -- 9. Februar 2010, 23:00 Uhr
Ist Claviceps ein Schimmel? -- Hagen Graebner -- 10. Februar 2010, 20:17 Uhr
Re: Ist Claviceps ein Schimmel? -- pilzmann -- 10. Februar 2010, 22:45 Uhr
Re: Ist Claviceps ein Schimmel? -- Hagen Graebner -- 11. Februar 2010, 07:26 Uhr
Re: Ist Claviceps ein Schimmel? -- coco -- 11. Februar 2010, 09:44 Uhr
Re: Ist Claviceps ein Schimmel? -- Hagen Graebner -- 11. Februar 2010, 20:51 Uhr
Re: Ist Claviceps ein Schimmel? -- Wolfgang P. -- 12. Februar 2010, 00:13 Uhr
Re: Gleich im Fernsehn -- Hagen Graebner -- 12. Februar 2010, 17:59 Uhr
Wer sagt Ranga Yogeshwar bescheid? -- Alis -- 17. Februar 2010, 20:18 Uhr
Re: Wer sagt Ranga Yogeshwar bescheid? -- pilzmann -- 17. Februar 2010, 22:31 Uhr
Re: Wer sagt Ranga Yogeshwar bescheid? -- Schnuffel -- 17. Februar 2010, 22:42 Uhr
Nö, der war mir nur zu popelig! *oT* -- pilzmann -- 18. Februar 2010, 20:52 Uhr
Re: Wer sagt Ranga Yogeshwar bescheid? -- Hagen Graebner -- 17. Februar 2010, 22:46 Uhr
Re: Wer sagt Ranga Yogeshwar bescheid? -- BO -- 18. Februar 2010, 10:24 Uhr
Re: Wer sagt Ranga Yogeshwar bescheid? -- zuehli -- 18. Februar 2010, 12:50 Uhr
Re: Wer sagt Ranga Yogeshwar bescheid? -- Christoph -- 18. Februar 2010, 14:13 Uhr
Re: Wer sagt Ranga Yogeshwar bescheid? -- Hagen Graebner -- 18. Februar 2010, 21:03 Uhr
Re: Wer sagt Ranga Yogeshwar bescheid? -- BO -- 20. Februar 2010, 07:15 Uhr
Re: Wer sagt Ranga Yogeshwar bescheid? -- Christoph -- 20. Februar 2010, 11:39 Uhr
Re: Wer sagt Ranga Yogeshwar bescheid? -- Der Juergen -- 20. Februar 2010, 12:37 Uhr
Von Flusspferden und Walen - Danke! -- Christoph -- 20. Februar 2010, 12:59 Uhr
P.S. -- Christoph -- 20. Februar 2010, 13:03 Uhr
Re: Wer sagt Ranga Yogeshwar bescheid? -- BO -- 21. Februar 2010, 12:54 Uhr

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