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Pilze Pilze Forum Archiv 2003

Der Text dazu:

Geschrieben von: harald andres schmid
Datum: 19. Mai 2003, 00:25 Uhr

Antwort auf: Inhaltsstoffe von giftigen Hölzern (Jens)

: Hallo Harald,

: das hört sich interessant an. Weißt Du, wo man derartige Belege bezüglich des
: Schwefelporlings finden kann?

Hallo,
Hier mein Text, publiziert in der April-Ausgabe der SZP:

VERGIFTUNGEN DURCH SCHWEFELPORLING

Ein solcher Titel muss Befremden auslösen. Der Schwefelporling (Laetiporus sulphureus) ist bekanntlich essbar, zumindest junge, weiche Fruchtkörper, die noch nicht zu Bitterkeit und Zähigkeit neigen. In Amerika wird der Pilz Chicken-Mushroom genannt und als Ersatz für Hähnchenfleisch propagiert. Ein Kollege von mir schwört auf Fondue Bourgouignonne mit Schwefelporlingen. Alles Geschmackssache. Aber trotzdem:
Was soll der haarsträubende Titel?

Merkwürdige Symptome

Beim Herumzappen im Netz mit Hilfe der Suchmaschine Google durchstöbere ich die Archive der Spitäler und Gesundheitsministerien nach Statistiken über Pilzvergiftungen.
Dabei fällt etwas auf: immer wiederkehrende Meldungen über Vergiftungen mit Schwefelporling.
Die beschriebenen Symptome scheinen zuerst sehr uneinheitlich. Mit der Zeit wird jedoch klar, dass weltweit immer wieder das gleiche dokumentiert wird:
Mundtrockenheit, taube Zunge, geschwollene Lippen, Blässe, Schwindel, Durchfall, Erbrechen, Bauchkrämpfe, Herzrhythmusstörungen, Atemlähmung, erweiterte Pupillen, Erregungszustände mit nachfolgender Ohnmacht bis hin zu Halluzinationen, Aufhebung des Raum-Zeitgefühls, optischen Visionen und Orientierungslosigkeit.
In allen Fällen wird jeweils "individuelle Unverträglichkeitsreaktion" diagnostiziert.
Das mag ja sein. Doch meine Neugier war geweckt.

Der Verdacht

Und dann stiess ich auf einen kleinen Hinweis, der das Ganze schlagartig in einem völlig neuen Licht erscheinen liess:
Schwefelporling, der auf giftigen Hölzern wächst, nimmt angeblich deren Inhaltsstoffe auf!
Hoppla! Von wegen: Individuelle Unverträglichkeit!
Aber stimmt das auch? Und was für giftige Hölzer kämen denn da in Frage? Nun, der "Speiseplan" des Schwefelporlings ist im Internet sehr gut dokumentiert:
Laetiporus sulphureus ist weltweit verbreitet und nicht sehr wählerisch in Bezug auf Hölzer. Er besiedelt sowohl Nadel- wie Laubhölzer und ist ein heftiger Braunfäuleerreger. Zu den bevozugten Wirten auf seinem Speiseplan gehören zum Beispiel Robinien, in deren Beständen er regelrecht wüten kann. Die befallenen Bäume zeigen recht lange wenig Symptome, in der ersten Phase kaum eine Auslichtung der Krone, bleiben auch noch eine Weile standfest und die typische Gelbfärbung der Blätter setzt sehr spät ein.
Auffallender sind die prall-saftigen, gelborangenen Fruchtkörper, die im Alter staubig-weiss werden und wie Reihen blasser Gespenster von den nun toten Baumsäulen herabstarren.
Eines hat der Schwefelporling anderen parasitischen Pilzen voraus: Er ist fähig, auch sehr harte Hölzer zu besiedeln., etwa Eiche, Esskastanie oder - Eibe!!!
Zum zweiten Mal: Hoppla!

Der Totenbaum

Die Eibe - dazu zuerst eine Kindheitserinnerung: eine junge Reiterin am Ufer der Bünz, die - völlig in Panik - versucht, ihr Pferd am Halfter von einer Eibe wegzureissen, an deren Zweigen dieses mit dem Maul herumzupft. Ich, der kleine Bub, lasse im strömenden Regen mein Rad fallen und helfe ihr, das Pferd wegzuziehen. Tage später erfahre ich vom Nachbarbauern, dass der Besitzer das todkranke Tier mit dem Karabiner erschiessen musste.
Eibe! Taxus baccata. Der Kantel-Baum. Vielleicht nicht zufällig finden wir gerade auf Friedhöfen gegen tausend Jahre alte Exemplare des "Totenbaums"...
Man kann tagelang mit der Suchmaschine im Internet Informationen über die Eibe zusammentragen. Auch geschichtlich-toxikologisch ist der strauchartige Baum höchst faszinierend:
Die schon sehr lange bekannten Gifte, (zum ersten Mal von Nikande im Jahre 200 v. Chr. beschrieben), wurden zum Zweck des Selbstmordes und des Mordes, sowie bei den Germanen als Pfeilgift verwendet. Auch seit Alters her für Abtreibungen, was aber bisweilen mit dem Tod von Mutter und Kind endete. Alarmierend für uns Menschen finde ich den Hinweis, dass das Gift der Eibe (Taxin) in die Milch überlebender Weidetiere übergeht.

Ein gefährlicher Irrtum

Schon als kleiner Bub hatte ich folgendes gelernt: Alles an der Eibe ist giftig, ausser die Früchte!
Falsch! Diese sogar in Schulbüchern nachzulesende Weisheit ist eine lebensgefährliche Ungenauigkeit, wie die Vergiftungsstatistiken im Internet beweisen: zwar ist die fleischige Hülle der roten Beere, die den Samen umgibt, ungiftig und sogar gesund (Vitamin C, Mineralien), aber: drei bis fünf der darin befindlichen Kerne, gekaut, ergeben schon eine lebensgefährliche Taxinvergiftung! (ich werde meine alten Schulbücher endlich mal der Altpapiersammlung übergeben).
Doch jetzt kommt es: Vergiftungssymptome durch Taxin:
Anschwellende, rotverfärbte Lippen, Blässe, Schwindel, Durchfall, Erbrechen, Bauchkrämpfe, Absinken der Körpertemperatur, Herzrhythmusstörungen, erweiterte Pupillen, plötzlicher Tod durch zentrale Atemlähmung oder später durch Leben- oder Nierenversagen.
Hoppla! (zum dritten Mal).
Aber was ist mit: Halluzinationen, Aufhebung des Raum-Zeitgefühls, optischen Visionen und Orientierungslosigkeit? Das kann doch nicht an der Eibe liegen?

Rauschzustände

Ich liess nicht locker, strapazierte Google stundenlang weiter mit Kombinationen von Suchbegriffen. Und siehe da:
Der Medizinprofessor Kukowka an der Universität Greiz entdeckte, daß die Eibe an warmen Tagen ein gasförmiges Toxin abgibt, das im Schatten des Baumes schwebt und bei einem Menschen, der sich unter seinen Zweigen befindet, Halluzinationen hervorrufen kann.
Hoppla! (ich zähle nicht weiter mit).
Und hier noch die Vergiftungsmeldung, die das Ganze abrundet:
Ein kleines Mädchen in Britisch-Kolumbien naschte von den appetitlich aussehenden gelb-orangenen Pilzfruchtkörpern, die sie an einem Baum entdeckt hatte, und kaute längere Zeit darauf herum. In der Folge tauchte sie in eine geistige Zwischenwelt ein, in der sie unansprechbar viele Stunden verblieb. Nachdem sie sich ausgeschlafen hatte, berichtete sie ihre Erfahrung -und: schilderte haargenau die optischen Halluzination und Visionen, wie sie beim Genuss von Psilocybinpilzen auftreten.
Ich bin weit entfernt davon, die Mykologen und Toxikologen, die bei Vergiftungsfällen mit Schwefelporling stets "individuelle Unverträglichkeitsreaktion" diagnostizierten, zu kritisieren. Die von mir zusammengetragenen Spuren "beweisen" im wissenschaftlichen Sinn gar nichts. So liess sich auch nicht jeder eingesehene Bericht auf seinen Wahrheitsgehalt überprüfen.
Trotzdem wäre es sicher lohnend, dass Fachleute aufgrund der obigen Indizienkette die auf giftigen Hölzern gewachsenen Schwefelporlinge toxikologisch genauer erforschen.

Harald Andres Schmid

Beiträge in diesem Thread

Hilfe zum "Voreilenden Ackerling" erbeten -- Andi S. aus V. -- 17. Mai 2003, 23:59 Uhr
Re: Hilfe zum "Voreilenden Ackerling" erbeten -- Andi S. aus V. -- 18. Mai 2003, 00:29 Uhr
Re: Hilfe zum "Voreilenden Ackerling" erbeten -- pilzmel -- 18. Mai 2003, 08:19 Uhr
Re: Hilfe zum "Voreilenden Ackerling" erbeten -- harald andres schmid -- 18. Mai 2003, 13:39 Uhr
Re: Hilfe zum "Voreilenden Ackerling" erbeten -- Andi S. aus V. -- 18. Mai 2003, 14:21 Uhr
Re: Hilfe zum "Voreilenden Ackerling" erbeten -- harald andres schmid -- 18. Mai 2003, 14:43 Uhr
Selbstversuch zum "Voreilenden Ackerling" :-) -- Andi S. aus V. -- 19. Mai 2003, 09:58 Uhr
Re: Selbstversuch zum "Voreilenden Ackerling" :-) -- harald andres schmid -- 19. Mai 2003, 12:05 Uhr
Inhaltsstoffe von giftigen Hölzern -- Jens -- 18. Mai 2003, 20:15 Uhr
Der Text dazu: -- harald andres schmid -- 19. Mai 2003, 00:25 Uhr
Re: Der Text dazu: -- Matthias -- 19. Mai 2003, 07:58 Uhr

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