[ Thread ansehen ] [ Antwort schreiben ] [ Zurück zum Index ] [ Vorheriger Beitrag ] [ Nächster Beitrag ]

so isses aber halt nun mal, Stephan ...

Geschrieben von: Andreas
Datum: 7. Februar 2016, 00:47 Uhr

Antwort auf: Re: Russula cavipes? NH3 (Stephan Weißer)

... finde dich damit ab, dass du das Pech hast, in einer Zeit des Umbruchs Hobbymykologe zu sein und dann auch noch das zusätzliche Pech hast, dich mit den Täublingen für eine Gruppe zu interessieren, die besonders davon betroffen ist. Wie heißt es so bösartig aber trotzdem treffend: "Wenn Dir die Pilze zu schwierig sind, dann werd hOalt rnithologen (mit der Bitte um Entschuldigung an alle Vogelkundler ....)
Fakt ist aber, dass die molekularen Untersuchungen eine sehr gewichtige neue Sicht auf Verwandtschaftsverhältnisse mit sich bringen (egal auf welcher Rangstufe), die dem Amateurmykologen nicht immer schmecken. Die ihm deshalb nicht schmecken, weil er unbedingt seinen Funden einen Namen verpassen möchte, der auch höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Davon sollten wir versuchen uns zu lösen!
Beispiel Samtfußrüblinge: Eine Pilzart, die für den normalen Pilzler überhaupt kein Problem darstellt. Winterpilz, samtiger Stiel => kein Problem. Irgendwann bekommt man mit, dass man in entsprechender Literatur noch andere Samtfußrüblinge findet: Einen der an Hauhechel wächst (F. fennae), einen der ganz blass ist (F. fennae). Gut, akzeptiert, aber mein Samtfußrübling ist weder blass noch wächst er auf dem Boden. Dann kommt der nächste der weiß, dass es eine Studie gibt die besagt, dass es neben F. velutipes noch F. elastica (größere Sporen), F. populicola (andere HDS) und F. rossica (andere HDS und größere Sporen) gibt. Nun gut, man besorgt sich diesen Artikel und bestimmt fürderhin seine Samtfußrüblinge perfekt nach der neuesten Fachliteratur und ist damit natürlich überaus happy. Bis zu dem Tag, wo jemand kommt und sagt: Alles schön und gut, aber wenn man die Kollektionen sequenziert, dann stimmt das so nicht mehr. Publiziert in einem sehr guten, auch für unsereinen verständlichen weiteren Fachartikel 2010. Da wird glasklar dargestellt, dass es zwar molekular trennbare Arten gibt, aber dass die bisher benutzten Merkmale "Sporengröße" und "HDS-Aufbau" so nicht verwendbar sind. Dieser Artikel liefert auch gleich einen anders aufgebauten Schlüssel für einen Teil der Flammulina-Arten, lässt aber die Trennung von vleutipes-elastica weiterhin offen. Die Studie ist ein Ergebnis einer Masterabriet (glaube ich), die drei Jahre einer Studentin gedauert hat. Ebenso werde an ganz vielen Stellen derzeit bisher für uns als eindeutig bekannte Arten kritisch der Sequenz-Analyse unterzogen, und dabei kommen oft erstaunliche Ergebnisse zu Tage. Und die müssen erst mal analysiert und dann daran weiterbearbeitet werden. Wobei "weiterbearbeiten" für die Uni-Mykologen (völlig zurecht) bedeutet, die Artenbildung innerhalb des Komplexes aufzudröseln, erst mal unbeschadet der praktischen Anwendung.
Wie wir Hobbymykologen mit unseren Mitteln unsere Pilze bestimmen, das ist erst mal nicht die Fragestellung, und das sollten wir auch erst mal akzeptieren. Die universitäre Mykologie mit ihren Möglichkeiten hat nicht primär den Sinn und das Ziel, uns Hobbymykologen das Leben zu erleichtern! Forschung generell hat das Ziel, etwas zu erforschen. Punkt. Ob das Ergebnis jemandem schmeckt oder stört, was dabei herauskommt oder nicht, ist völlig irrelevant!

Natürlich wünschen wir uns, dass diese Ergebnisse, die für uns natürlich erst mal nicht praktikabel sind, dann auch morphologisch so unterstützt werden, dass wir in der praktischen Bestimmungsarbeit davon profitieren. Aber das ist ein nächster Schritt - und da muss ich uns Hobbymykologen wirklich bitten Verständnis zu haben - der meist den Unimykologen nicht mehr soooo brennend interessiert. Denn dann muss man anfangen aufgrund der molekularen Ergebnisse nach Merkmalen zu suchen, dke die molekular erkannten Arten auch morphologisch trennen. Das ist oft schwierig, und von den Unimykologen, die ja oft gar nicht über die Felderfahrung verfügen wie wir, aucb gar nicht leistbar. Wie denn auch? Wie soll ein paarundzwnazigjähriger Student/Studentin denn über den morphologischen Erfahrungsschatz verfügen wie die Mehrzahl der Hobbymykologen, die seit gefühlt 100 Jahren im Wald rum rennen?

In diesem Dilemma stecken wir hier vielfach, dass wir zur Zeit entdecken, dass in vielen Gruppen der Pilze unsere bisherigen als Trennmerkmal angesehen Merkmale von den molekularen Ergebnissen nicht gestützt werden. Und es wird ein langwieriger Prozess werden, nun diese Pilzgruppen aus dem Blickwinkel der molekularen Ergebnisse - die definitiv höherwertig einzustufen sind erst ein mal als unsere morphologische Konzepte - neu anzuschauen, uns Gedanken zu machen "was trennt denn die molekular trennbaren Arten morphologisch" - und da sind wir Feldmykologen wieder gefragt. Diese Zusammenarbeit alleine wir zum Ziel führen, ein Konzept aufzustellen, dass molekular gestützt und gleichzeitig morphologisch erklärbar(= bestimmbar) ist.
Aber momentan befinden wir uns eben auf dem Weg dorthin. Es gibt viele Gruppen, in denen man weiß, dass es moleklar basiert unerkannte (= kryptische) Arten gibt. Es gibt Gruppen, wie die Griseinae der Täublinge, wo man molekular alle bekannten Arten trennen kann anhand der Typusbelege - aber nicht die nach herkömmlicher Literatur bestimmten Aufsammlung. Will heißen: Molekular geshen sind die Typusbelege aller 14 Arten der Girseinae verschieden - aber die nach den Schlüssel bestimmten ebenfalls molkular untersuchten Kollektionen fínden sich wild verstreut. Das bedeutet, die 14 Arten gibt es wirklich, aber die Trennmerkmale, die wir derzeit verwenden, taugen nichts (oder nur bedingt). So eine Studie ist als Masterarbeit absolut o.k. und publizierungswürdig. Was wir Hobbymykologen damit anfangen, das ist wiederum erst mal nicht das Problem der Forschung! Das sollten wir akzeptieren, und statt zu lamentieren lieber das nutzen was WIR leisten können: Gut dokumentierte herbarisierte Kollektionen zur Verfügung stellen, die denjenigen, die zwar das Equipement haben, aber nicht die Erfahrung, die Möglichkeit zu geben, ihre molekularen Ergebnisse auch morphologisch interpretieren zu können. Und damit schließt sich dann der Kreis, denn DANN profitieren wir Hobbymykologen letztlich davon, dass molekulare Befunde, die wir ja nicht erstellen können, auch morphologisch umgesetzt werden (was die Unimykologen meist nicht können), was dann wiederum in von uns benutzbare Schlüssel mündet.

Es gibt noch ein paar Unis, wo man Myologie in irgendeiner Form studieren kann, wo sich die Professoren bemühen, ihren Studenten auch Feldmykologie angedeihen zu lassen (Marburg z. B. , auch Kassel, Frankfurt, Regensburg und was weiß ich noch wo.). Aber wir müssen doch auch sehen, dass man heute als Prof. doch seinen Studenten gar nicht mehr guten Gewissens zu eine morphologisch ausgerichteten oder gar feldmykologisch orientierten Promotionsarbeit raten kann! Man möchte als Prof. doch seinen Studenten einen guten Start ins universitäre Leben ermöglichen - mit feldmykologischen Studien gelingt das kaum .....
Darum meine Bitte: Unterstüzt die universitären Mykologen, die neben ihren universitären Pflichten sich zusätzlich für Artbestimmung, für Artenvielfalt, für feldmykologische Aspekte interessieren, nach Leibeskräften! Freut euch über jeden Studenten/jede Studentin die sích draußen im Wald um Pilze kümmern mag! Bedenkt bitte: Wer von uns Feldmykologen hat denn mit paarundzwanzig Jahren eine tolle Pilzkenntnis gehabt?! Wann seid IHR den PSV-DGfM geworden, wenn ihr es denn seid? Mit 25?? Sicher die wenigsten - Drum meine Hochachtung vor jedem Student, der mit Anfang zwanzig seine PSV-Prüfung macht, meine Hochachtung vor jedem Prof, der seine Studenten ermutigt, Zeit und Energie in Feldmykologie zu stecken! Nur wenn diese Verbindung zwischen uns Hobbymkologen mit der Felderfahrung und den universitären Mykologen mit dem wissenschaftichebn Knowhow lebendig bleibt, dann bringen wir die Pilzkunde vorwärts!Und zwar für beide "Seiten" mit großem Erfolg.

Haha, jetzt tät ich gerne eine Umfrage starten, wer sich tatsächlich bis hierhin durch den ganzen Text gequält hat *ggg*

Seid mir nicht böse, aber es muss unbedingt gesagt werden, dass die Unimykologie und die Sequenziererei nicht unser Feind ist, sondern auch uns letztlich weiterbringt!

neste Grüße,
Andreas

: Hallo Rika,

: ich habe Jesko schon kennengelernt und weiß, wie er üblicherweise
: argumentiert. In meinen Augen sind dies Totschlagargumente, die man
: gegenüber Hobby-Wald-und-Wiesen-Pilzkundlern, wie wir es sind, nicht
: gebrauchen sollte. Fast hat man den Eindruck, dass von Mitteldeutschland
: aus die 200jährige Täublingsbestimmungsgeschichte mitsamt der daran aktiv
: beteiligten Gattungskenner wie SCHÄFFER, SINGER, ROMAGNESI, EINHELLINGER,
: SARNARI... aus den Angeln gehoben werden könnte.

: Für mich selber sind diese Autoren die Bestimmungsreferenzen Nr. 1 und sorry,
: das bleiben sie zunächst auch. Denn wenn Jesko recht hat, wären diese
: Werke alle nicht mehr brauchbar (und ich habe sie mir doch für teuer Geld
: angeschafft, schnüffz!), und ich selber könnte die Täublingsbestimmung
: dann gleich aufgeben, weil ich keinen Zugang zu den neuen
: Forschungsergebnissen habe - ehrlich gesagt auch keine Lust darauf habe,
: sie mir zu ergattern, so lange sie nicht in Form käuflicher Literatur
: vorliegen. Obsolet wären ebenfalls alle Seminare und
: Ausbildungsveranstaltungen zur Täublingsbestimmung, die auf dem Markt so
: angeboten werden.

: Am Ende läuft alles darauf hinaus, dass ein kleiner abgeschlossener Zirkel
: sagt, Täublinge (oder Risspilze, oder...) sind ab sofort so und so zu
: bestimmen, und es ist niemand da, der dies kritisch nachprüfen könnte.
: Täublingsbestimmung würde so zu einer ziemlich elitären Angelegenheit, bei
: der unsereins nicht wirklich mitmischen könnte, meinst du nicht auch?

: LG
: Stephan

Beiträge in diesem Thread

[ Thread ansehen ] [ Antwort schreiben ] [ Zurück zum Index ] [ Vorheriger Beitrag ] [ Nächster Beitrag ]

Pilze Pilze Forum wird administriert von Georg Müller mit WebBBS 5.12.