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Re: so isses aber halt nun mal, Stephan ...

Geschrieben von: Stephan Weißer
Datum: 8. Februar 2016, 17:41 Uhr

Antwort auf: so isses aber halt nun mal, Stephan ... (Andreas)

Hallo Andreas,

toll, dass ich dich mit meiner überspitzten Provoziererei aus der Deckung locken und zum Schreiben eines solch tiefgehenden Beitrages bringen konnte. Er geht optimal auf die Fragen ein, die mich als Hobbypilzkundler bzw. als PSV (Hobbymykologe oder gar Amateurmykologe mag ich mich schon gar nicht mehr nennen!) umtreiben. Gerne würde ich auf deinen Beitrag als Ganzes antworten, aber seine Länge macht es etwas leichter mit der Einhake-Technik.

: Wie heißt es so bösartig aber trotzdem treffend: "Wenn
: Dir die Pilze zu schwierig sind, dann werd hOalt rnithologen (mit der
: Bitte um Entschuldigung an alle Vogelkundler ....)

Och nöö, Vogelkunde ist doch langweilig ;-)

: weil er unbedingt seinen Funden einen Namen
: verpassen möchte, der auch höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügt.
: Davon sollten wir versuchen uns zu lösen!
: Beispiel Samtfußrüblinge

Der Amateurmykologe könnte das Namensproblem z. B. dadurch lösen, dass er einen von ihm gefundenen Pilz nur noch als Samtfußrübling (oder, sofern im Mesobrometum bei Hauhechel gewachsen, als Hauhechel-Samtfußrübling) und nicht mehr als Flammulina velutipes/onotis/... benennt, d. h. einfach keine botanischen Namen mehr verwendet, wenn sie sich doch eh gerade in Luft auflösen. So weit hört es sich einfach an.

Aber wie macht man's jetzt bei einem Hohlstieltäubling? Schließlich gibt es ja etliche Täublinge mit hohlem Stiel, nicht nur die violetten scharfen Cremesporer unter Tanne. Man kann ja nicht immerzu sagen: mein Pilz ist das, was man früher Russula cavipes genannt hat, mein Pilz gehört in das R. cavipes-Aggregat, mein Pilz gehört in die Gruppe um R. cavipes... Was schreibt man z. B. auf das Schild bei der Pilzausstellung, was sagt man bei der Lehrexkursion? Irgendwie traut man sich ja fast nicht mehr, sich auf einen botanischen Namen festzulegen, wenn man nicht weiß, ob der vor ein paar Monaten durch einen Fachartikel pulverisiert wurde. Oder auf eine Internet-Anfrage einen Namen zu nennen, wenn man weiß, zwei Tage später meldet sich jemand mit der Aussage: die Bestimmungsmerkmale in dieser Sektion kannst du alle vergessen, der Pilz ist so nicht benennbar. Das ist schon ziemlich frustrierend. Kennst du schon eine Lösung für dieses Problem?

: Die universitäre Mykologie mit ihren Möglichkeiten hat nicht
: primär den Sinn und das Ziel, uns Hobbymykologen das Leben zu erleichtern!
: Forschung generell hat das Ziel, etwas zu erforschen. Punkt.

Die universitäre Mykologie hat wie jede Disziplin mMn aber auch die Aufgabe, ihre Forschungsergebnisse an die Hobbymykologen zu kommunizieren. Sonst würde sie mit großer Energie raketengleich von der Erde abheben und im All schweben, womit letztlich niemandem gedient wäre: nicht den Hobbymykologen, aber auch nicht den Wissenschaftlern selber, die ja schon auch wollen, dass ihre Forschungsergebnisse irgendwann mal das allgemeine Bewusstsein erreichen und die von der pilzkundlichen "Basis" in der Feldforschung unterstützt werden sollen.

Jetzt: was ist die pilzkundliche "Basis", mit der die universitäre Mykologie kommuniziert? Wie sich die Sachlage momentan darstellt, sind das einige Dutzend Personen, die Zeit und Lust haben, sich Zugang zu Fachartikeln zu verschaffen. Seither waren es Tausende und Abertausende, mit denen die Kommunikation über die Instrumente Pilzbuch (Vademecum, MHK, Pareys, Gattungsmonografien...), Lehrwanderung, Tagung und Seminar lief. Unter den jetzt bekannten Umständen wäre es vielleicht besser, erst einmal keine der etablierten Pilzbücher aufzulegen, keine Lehrseminare (wohlgemerkt: nicht Workshops!) jenseits der PSV-Ebene mehr abzuhalten und keine Lehrwanderungen mehr zu veranstalten, so lange zu befürchten ist, dass alles "Wissen", was dort an die Basis kommuniziert wird, Pseudowissen und letztlich Datenschrott ist. Ich für meinen Teil erwäge gerade, erst einmal meine Seminar-Anmeldungen zu stornieren und auch keine weiteren Fachbücher zu kaufen, bis sich der Erkenntnisssturm gelegt hat, und werde auch interessierten Dritten Entsprechendes empfehlen.

: Natürlich wünschen wir uns, dass diese Ergebnisse, die für uns natürlich erst
: mal nicht praktikabel sind, dann auch morphologisch so unterstützt werden,
: dass wir in der praktischen Bestimmungsarbeit davon profitieren.

Ich würde mir wünschen, dass ich von diesen Ergebnissen zunächst einmal erfahre, und zwar nicht häppchenweise, sondern in Form einer Übersicht. Erst dann ist an eine weitere Zusammenarbeit mit der universitären Mykologie zu denken. Dieser sollte klar sein, dass der jetzige Zustand zu einem massiven Abbröckeln der "Gewährsleute"-Basis (wie sie von KIRCHNER und EICHLER genannt und auch von G. KRIEGLSTEINER in sein BW-Projekt eingebunden wurde) führen könnte.

: Denn dann muss man anfangen aufgrund der
: molekularen Ergebnisse nach Merkmalen zu suchen, dke die molekular
: erkannten Arten auch morphologisch trennen.

Jetzt wird's spannend. Ich hatte mich schon immer bei Täublingen gefragt, wie es kommt, dass ein im Feld vorgefundener Täubling aus einem referenziellen Katalog von 14 Merkmalen immer nur 10 bis 12 Merkmale, eigentlich nie aber alle 14 Merkmale gleichzeitig aufweist. Bei Risspilzen ist die Quote meiner Erfahrung nach noch schlechter. Der wohl richtige Schluss, der daraus zu ziehen ist: die referenziellen Merkmalskataloge sind mangelhaft, da sie Merkmale enthalten, die zur eindeutigen Artkennzeichnung nicht taugen. Einer Klärung dieser Phänomene sähe ich mit äußerst großem Interesse entgegen. Z. B. würde ich mich sofort bei einem Täublingskurs anmelden, der diesen neuen Erkenntnissen den Rang einräumt, den diese offensichtlich haben. Und selbstverständlich würde ich mir von jemandem, der Zugang zu den neuen Erkenntnissen hat und mit der Basis kommuniziert, erhoffen, dass dieser nicht nur sagt: alles, was seither über Täublings-/Risspilzbestimmung publiziert wurde, ist Käse, sondern auch klar benennt, wie man nach neuem Kenntnisstand stattdessen vorgehen sollte. Sonst endet es ja damit, dass es in Europa nur drei, vier Hansels gibt, die Täublinge und Risspilze bestimmen können. An einem solchen Zustand kann niemand Interesse haben.

: Wie soll ein
: paarundzwnazigjähriger Student/Studentin denn über den morphologischen
: Erfahrungsschatz verfügen wie die Mehrzahl der Hobbymykologen, die seit
: gefühlt 100 Jahren im Wald rum rennen?

Insoweit kann es der universitären Mykologie also doch nicht ganz egal sein, ob ihre Erkenntnisse von den Feldmykologen rezipiert werden.

: In diesem Dilemma stecken wir hier vielfach, dass wir zur Zeit entdecken,
: dass in vielen Gruppen der Pilze unsere bisherigen als Trennmerkmal
: angesehen Merkmale von den molekularen Ergebnissen nicht gestützt werden.

Nun, die Entdeckung selbst ist nicht das Dilemma. Auch die Kommunikation der Ergebnisse nach unten ist kein Dilemma, höchstens ein Problem, vielleicht auch nur eine Aufgabe.

: statt zu lamentieren lieber das nutzen was
: WIR leisten können: Gut dokumentierte herbarisierte Kollektionen zur
: Verfügung stellen,

Was wir jetzt aber ein paar Jahre lang wohl nicht mehr leisten können: fröhliche Kommunikation mit Hobbypilzkundlern über die Speise-/Giftpilzmorphologie hinaus. Das hier diskutierte Problem hat sich an der Atropurpurinae-Emeticinae-Problematik entzündet, aber kann andere Täublingssektionen natürlich genau so betreffen, ebenso wie andere Gattungen, an denen bisher nur nicht genügend herumgeforscht wurde.
Oder siehst du das anders?

: Darum meine Bitte: Unterstüzt die universitären Mykologen, die neben ihren
: universitären Pflichten sich zusätzlich für Artbestimmung, für
: Artenvielfalt, für feldmykologische Aspekte interessieren, nach
: Leibeskräften!

Aber mit was? Nur mit dem Zusenden von Exsikkaten und dem Mitlaufenlassen bei Exkursionen? Oder mit mehr?

: Seid mir nicht böse, aber es muss unbedingt gesagt werden, dass die
: Unimykologie und die Sequenziererei nicht unser Feind ist, sondern auch
: uns letztlich weiterbringt!

Feind trifft es selbstverständlich nicht, aber die neue Art der Forschung schafft schon Probleme für die Kommunikation mit der Basis (nicht für die PSV-Speisepilz-/Giftpilzmorphologie der DGfM, aber für alles darüber Hinausgehende), für die irgendwann Lösungen hersollten.

LG
Stephan

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